Der goldene Handschuh

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Abgründe: Hinter Fritz Honka (Jonas Dassler), dem entstellten Kumpan und schüchternen Saufbruder, steckt ein Frauenmörder. (Warner Bros.)



Monster Mensch


Soll man, darf man, muss man solche Ereignisse, solche Mördertaten auf die Leinwand bringen? Derartige Fragen wurden bereits vor der Premiere an den Berliner Filmfestspielen und natürlich auch danach gestellt. Der türkisch-stämmige Hamburger Filmer Fatih Akin («Gegen die Wand», Goldener Bär 2004) juckten solche Fragen nicht. Er zog sein Ding durch. Er hätte diesen Film machen müssen, bekennt er in einem Interview, weil jener Fritz Honka quasi vor seiner Haustür gemordet hätte. Akin (45), in Hamburg-Altona aufgewachsen, wohnte dazumal zwei Strassen weiter.

Anfang der Siebzigerjahre macht ein Mann St. Pauli unsicher, scheinbar unbemerkt. Frauen verschwanden, niemand vermisste sie, Trinkerinnen, Prostituierte, Gestrandete. Der Hilfsarbeiter Fritz Honka hatte sich über sie hergemacht, hatte sie aus der Kneipe «Der Goldene Handschuh» auf St. Pauli in seine Wohnung gelockt, mit Schnaps abgefüllt, drangsaliert, sich an ihnen vergangen (wenn er konnte), erwürgt, erschlagen, abgeschlachtet. Heinz Strunk hatte die Taten des Serienmörders in seinem Roman «Der Goldene Handschuh» 2016 beschrieben. Fatih Akin hat den Stoff aufgegriffen, selber das Drehbuch verfasst und ein Monster auf die Leinwand gebracht. Nicht wenige Kinobesucher/-innen werden sich angeekelt, schockiert abwenden und sich die Tortur auf der Leinwand nicht antun. Ohne Vorwarnung zeigt die erste Szene den missgestalteten Fritz Honka am Werk. Eine Frau liegt da, und Hanka hantiert mit einer Säge. Doch bevor er ansetzt, schluckt er einen Schnaps und schleppt das Opfer in einen Nebenraum. Kameramann Rainer Klausmann, ein Schweizer, und Regisseur Akin ersparen uns, Augenzeuge zu werden. Es reicht auch so.

Akin kennt kein Pardon, er bleibt abschreckend nah am Täter, bei den Saufgelagen in der Kneipe, in der schäbigen Mansardenwohnung, bei sexuellen Übergriffen und Gewalt, bei Mord und Entsorgung der Leichenteile. Das mörderische Drama, eigentlich müsste man sagen Gemetzel, wird selbst bei Horrorfans das nackte Grauen wecken. Da läuft kein maskierter Killer Amok, da treiben keine Untoten ihr Unwesen, da wüten keine Aliens à la H.R.Giger, sondern hier murkst ein Mensch Menschen ab, gnadenlos, krankhaft. Man riecht förmlich den Mief unter dem Dach, den Gestank der versteckten Leichen, den Rauch, den Schnaps in der Kneipe. Die Kunden ertränken Kummer, Ängste, Trostlosigkeit und über allem trällern Schlager wie «Junge komm bald wieder» oder «Es geht eine Träne auf Reisen» (Honkas Lieblingslied). So konsequent wie Dornkaat-Max (Hark Bohm) seinen Fusel runterspült, stiert Fritz Frauen nach, die für ihn unerreichbar sind. Er muss sich mit abgewrackten Weibern, ausgedienten Huren, die um Alkohol betteln, begnügen. Die schleppt er in seine private Höhle, die zur Hölle wird.

Fatih Akin erklärt nichts, beschönigt nichts. Er öffnet Abgründe. Prolo Honka, hässlich, heruntergekommen und verkommen, wird zum Monster in sexueller «Not». Ein armes Schwein, gequält, das andere quält und tötet. Zu den (biografischen) Hintergründen trägt der Film nichts bei, das erfährt man in Strunks Tatsachenroman. Akin präsentiert einen Horrortrip jenseits aller Vorstellungskraft, aus dem es kein Entrinnen gibt. Jungschauspieler Jonas Dassler (23) hat sich in «Fiete» Honka, den schüchternen sabbernden Säufer, verwandelt. Genial – mit hängenden Schultern, scheelem, irren Blick, strähnigem Haar. Keine traurige Gestalt, sondern schlecht getarnter Horror auf zwei Beinen, hinter dem man einen Mensch vermutet, Aber sichtbar wird er nicht. Jonas Dassler bietet eine unglaubliche Performance (natürlich auch dank der Maskenbildner). Er kommt vom Theater (zurzeit am Gorki Theater Berlin), bleibt als Verräter im Gedächtnis, im Kinofilm «Das schweigende Klassenzimmer», wirkte auch im Künstler- und Geschichtsdrama «Werk ohne Autor» mit. Seine unglaubliche Darstellung des Sexualtäters und vierfachen Mörders wurde an der Berlinale nicht belohnt. Eine grosse Leistung im «falschen» Film?


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Deutschland 2019    
110 Minuten

Buch und Regie: Fatih Akin
Kamera: Rainer Kaufmann

Darsteller: Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Hark Bohm


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