De son vivant

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Mehr als ein Arzt: Dr. Eddé (Gabriel Sara) ist Versteher, Experte und Freund (Bild unten rechts). Er macht dem todkranken Benjamin (Benoit Magimel) Mut, sich seinem Leben zu stellen. Benis Mutter (Catherine Deneuve, Bild oben) hat Mühe mit dem Loslassen. (Frenetic Films)



Loslassen vom Leben


Das Ende, der Tod, ist unweigerlich programmiert: Er kommt oft unverhofft. Bisweilen aber auch mit Ansage. Benjamin «Beni» (Benoît Magimel) ist ein engagierter Schauspiellehrer und steht mit seinen 39 Jahren in der Blüte seines Lebens, sollte man meinen. Bis er erfährt, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Ihm bleiben nur wenige Monate, um den «Schreibtisch seines Lebens aufzuräumen». Das rät ihm sein behandelnder Arzt Dr. Eddé (Gabriel Sara). Quasi bis zum letzten Atemzug versucht Beni seine Schauspielerschar davon zu überzeugen, echte Gefühle zu zeigen, aus sich herauszugehen. Sein grösstes Problem ist nicht die Krankheit an sich, sondern er selbst, er hadert mit seinem Leben, macht sich bittere Vorwürfe. «Ich bin ein Nichts und gehe als Nichts. Ich sterbe, ohne intensiv gelebt zu haben.», klagt er sich selbst an. Die mitleidende Mutter (Catherine Deneuve) ist ihm keine Hilfe, im Gegenteil. Dr. Eddé ist weit mehr als ein behandelnder Arzt, er nimmt teil, ist Versteher und Tröster, empathischer Wegbegleiter und Freund. Er versucht alles, damit Beni seinen Frieden findet, im vermeintlich Negativen das Positive sieht.

Unglaublich, Regisseurin Emmanuelle Bercot, Schauspielerin und Autorin, hat Dr. Gabriel Sara kennengelernt und engagiert: Sara ist im «wirklichen Leben» tatsächlich Onkologe, ein aussergewöhnlicher Arzt mit höchstem humanistischen Ansatz, der seine Patienten nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch betreut. Das gilt auch für seinen Mitarbeiterstab. Er arbeitet im Spital mit Musiktherapeuten und engagiert auch mal Tangotänzer. Das geschieht auch im Film, wirkt nie gespielt, sondern unglaublich authentisch.

Emmanuelle Bercot wollte nicht das französische Krankenhauswesen dokumentieren, sondern inszenierte ein Melodrama, in vier Jahreszeiten gegliedert, beginnend mit dem Sommer. Es ist kein trister Film über Krankheit und Verlauf, sondern über Verlust, über das Verhältnis von Mutter und Sohn, Lehrer und Schauspielern. Er beschreibt Zweifel und Verzweiflung, Einsicht und inneren Frieden. Selten geht einem solch alltägliches Drama so nahe wie Emmanuelles Bercots «De son vivant», das trotz allem Schmerz Hoffnung macht. Passend auch dazu die Songs «Bye Bye Love» (The Everly Brothers), «Voyage, Voyage» (Desireless) und «Nothing Compares» (Sinéad O'Connor). Ein Drama mit Tiefe und Nachhaltigkeit.


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Frankreich 2021  
123 Minuten

Regie: Emmanuelle Bercot
Drehbuch: Bercot und Marcia Romano
Kamera: Yves Cap und Mathieu Caudroy

Darsteller: Benoît Magimel, Dr. Gabriel Sara, Cécile de France, Catherine Deneuve


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