Das Lehrerzimmer

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Kampf gegen Windflügel: Die engagierte Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) versucht den Diebstählen in ihrer Schule auf die Spur zu kommen und gerät ins Räderwerk. Hass und Wut schlagen ihr entgegen. (Filmcoopi)

 

Im Räderwerk der Schule und Gesellschaft

 
 Schulen sind nicht nur Bildungsinstitute, sondern spiegeln auch Verhältnisse und Konflikte der Gesellschaft wider. So wird ein Lehrerzimmer an einer Hamburger Schule zum Mikrokosmos, zum dramatischen Schauplatz zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Konflikte.

Carla Nowak (Leonie Benesch) ist frisch an einem Hamburger Gymnasium. Sie unterrichtet Mathematik und Sport. Eine Idealistin, die an ihre Schüler, an das Gute im Menschen glaubt. Nichts Ungewöhnliches, an ihrer Schule wird geklaut. Ihre Kollegen haben natürlich Schüler oder Schülerinnen in Verdacht. Die Schulleiterin Bettina Böhm (Anne-Kathrin Gummich) organisiert eine Befragung im Klassenzimmer. Die Schüler sollen ihre Geldbörse zeigen – freiwillig. Nach dem Motto: «Wer nichts zu verbergen hat, muss sich auch keine Sorgen machen.» Ein perfider Schachzug, der keine Klarheit bringt. Da kommt Carla, die besessene Wahrheitsfinderin, auf die Idee, ihr Portemonnaie im Lehrerzimmer offen liegen zu lassen, gleichsam als Köder. Eine versteckte Kamera in ihrem Laptop soll den Täter oder die Täterin entlarven. Tatsächlich schnappt die Falle zu, doch auf den Bildern ist nur eine bunte Bluse zu sehen, eine, welche auch Frau Kuhn (Eva Löbau) trägt, die gute Sekretariatsseele der Schule. Die wehrt sich mit Hand und Fuss gegen diese Verdächtigungen, wird gleichwohl suspendiert. Leidtragender ist auch ihr Sohn Oskar (Leonard Stettnisch), um den sich Carla besonders bemüht und seine mathematische Begabung gefördert hat.

Kurzum, der «Schulfriede» ist dahin, auch weil Carlas Aktion illegal, heisst unerlaubt, war und gegen Persönlichkeitsreche verstossen hat. Denn das Lehrerzimmer gilt als geschlossener, geschützter Raum, aus dem nichts nach aussen dringen darf. Carla ist ins Räderwerk geraten, droht an ihren Idealen zu zerbrechen. Der Konflikt eskaliert. Die verdächtigte Frau Kuhn führt einen regelrechten Krieg gegen die Pädagogin. Das Lehrerkollegium ist gespalten. Eltern empören sich. Schüler geben eine Schülerzeitung mit einem Interview Carlas heraus, das jedoch nur partiell wiedergegeben wird und die Lehrerin diffamiert. Oskar soll die Schule verlassen und weigert sich.

Ein kleiner, an sich alltäglicher Anlass an einer Schule wird zum Zündstoff. Der türkisch-deutsche Regisseur İlker Çatak wirft in seinem Kammerspiel, das sich streng auf schulischen Raum beschränkt, eine Reihe gesellschaftlicher Fragen auf. Dabei geht es weniger um ausländische oder rassistische Konflikte, mehr um Vorurteile und Ausgrenzung, Wahrheitsfindung, Ideale und Null-Toleranz-Politik. «Das Lehrerzimmer», wesentlich von der Schauspielerin Leonie Bensch bis zur letzten Pore verkörpert, verdichtet gesellschaftliche Verhältnisse, Abhängigkeiten und strukturelle Grenzen. Das Drama, das sich zeitweise wie ein Thriller liest, bietet keine Lösungen und bleibt unbestimmt, es lässt offen, was mit Oskar und seiner Mutter passiert. Aber auch das ist eine Stärke dieses Films, der fünfmal mit dem deutschen Filmpreis Lola ausgezeichnet wurde – bester Spielfilm, beste Regie, bestes Drehbuch, beste weibliche Hauptrolle, bester Schnitt.
 

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Deutschland 2023    
98 Minuten

Regie: İlker Çatak
Buch: Çatak und Johannes Duncker
Kamera: Judith Kaufmann

Besetzung: Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak, Anne-Kathrin Gummich, Eva Löbau, Leonard Stettnisch


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