Woman at War

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Chorleiterin und Musiklehrerin Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) wirkt harmlos, hat es jedoch knüppeldick hinter den Ohren. Sie geht auf Jagd – gegen umweltbedrohende Konzerne. (Filmcoopi)




Mit Pfeil und Boden umweltaktiv


Sie rennt übers raue Hochland, springt über Stock und Stein, duckt sich unter dunklem Himmel und stoppt abrupt. Die Kriegerin spannt den Pfeil in ihren Bogen und schiesst ein Seil über eine Starkstromleitung, verursacht einen Kurzschluss und legt das Stromnetz in Reykjavik lahm. Halla (Halldóra Geirharðsdóttir), eine drahtige 50-jährige, Chorleiterin und nette Nachbarin, ist Umweltaktivistin und führt Krieg gegen die lokale Aluminiumindustrie, die von chinesischen Investoren aufgekauft werden soll. Ihre Sabotageakte sollen Investoren abschrecken und die Highlands vor dem Verkauf und der Ausbeutung retten. Halla will nicht zusehen, wie ihre isländische Heimat verschachert, die Natur ausgebeutet und bedroht wird.

Sie führt ein gefährliches Doppelleben. In der Not findet sie im Farmer Sveinbjörn (Jóhann Sigurðarson), Vetter dritten Grades oder so, einen heimlichen Verbündeten. Halla hat noch eine andere, sozusagen private Seite, eine Zwillingsschwester Asa (Geirharðsdóttir), mit der sie vor Jahren die Adoption eines Mädchen beantragt hatte. Ausgerechnet jetzt in der Endphase ihres Feldzugs ist ihr Adaptionsantrag bewilligt worden. Sie hat die Chance, Nika, ein vierjähriges Waisenmädchen aus der Ukraine, zu sich zu holen. Was tun…?

Unverhofft kommt oft. So treten bei Hallas Aktionen unvermittelt drei Musiker auf – ein Mann am Klavier oder Akkordeon, ein Drummer und ein Bläser (Sousaphon/Tuba). Das kann mitten im Nirgendwo, am Flughafen oder sonstwo passieren. Das Trio kommentiert quasi musikalisch, feuert an, unterstützt, begleitet. Ein irrwitzige flankierende Massnahme sozusagen. Kommt Nika, die Waisin aus Ukraine ins Spiel beziehungsweise ins Gespräch, trällert ein Damentrio in ukrainischer Tracht herzerweichend. Am Ende gibt's gar eine Vereinigung… Hinzukommt als Running Gag ein Velotourist aus Peru, der sich zufällig an falschen Orten zur falschen Zeit, also an «Tatorten» aufhält und wiederholt als Terrorist verdächtigt wird.

Der Isländer Benedikt Erlingsson, der schon mit seinem skurrilen Episodenfilm «Of Horses and Men» köstlichen Kinospass mit Hang zum schwarzen Humor bot, schickt nun eine Aktivistin in den «Krieg», die auch mal eine Drohne mit Pfeil und Bogen vom Himmel holt. Nordisch lakonisch und schelmisch erzählt er ein modernes Märchen, das Naturschutz wörtlich nimmt und für Naturrecht plädiert wie für Menschenrechte. Da darf's auch mal Sabotage gegen die Materie sein. Witzig ist eine kleine Szene, in der Wirtschafts- und Politköpfe – darunter Jon Gnarr, Komiker, Schriftsteller und ehemaliger Bürgermeister von Reykjavik (2010–2014) – sich am sagenhaften Thingplatz (Thingvellir – wichtiger politischer Versammlungsort in Island seit über 850 Jahren) treffen und die prekäre Lage um die Sabotageakte diskutierten. Erlingsson will mit seinem Film «Woman at War» auch an Frauen erinnern, die in ihren Ländern tatsächlich um Leben und Natur kämpften – so Berta Cáceres in Honduras und Yolanda Maturana aus Kolumbien, beide wurden ermordet.

Sein Film kommt als Heldenabenteuer daher und erinnert ein bisschen an Don Quichotte, ein Märchen mit einem Lächeln und eine Ode an Artemis, griechische Göttin der Jagd und des Waldes, Hüterin der Frauen und Kinder. Halla wird zur modernen Artemis in den isländischen Highlands: rigorose Solo-Kämpferin fürs Ganze. Einer der abenteuerlustigsten und liebenswertesten Kinofilme des Jahres.


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Island/Ukraine 2018  
100 Minuten

Regie: Benedikt Erlingsson
Buch: Benedikt Erlingsson und Ólafur Egill Egilsson
Kamera: Bergsteinn Björgúlfsson

Darsteller: Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson, David Þór Jonsson (Pianist), Magnus Trygvason Eliasen (Drummer), Ómar Guðjónsson (Sousaphon)


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