Nachbarn

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In den frühen Achtzigerjahren wird ein Dorf an der syrisch-türkischen Grenze diszipliniert. Ein Lehrer sorgt für nationalistische Töne. Der kurdische Knabe Sero (Serhed Khalil) wird zum Opfer. (Frenetic)



Die Knute des Diktators


Aktuell wie eh und je. Der sechsjährige Kurdenjunge Sero erlebt in seinem Dorf an der syrisch-türkischen Grenze in den Achtzigerjahren, wie der nationalistische Staat, sprich die Assad-Diktatur, in den Alltag eingreift. Mano Khalil («Unser Garten Eden», «Der Imker») beschreibt, wie Menschlichkeit in einer Welt von verordnetem Hass und Gewalt gleichwohl bestehen kann. Khalils Film, der seit über zwanzig Jahren in Bern lebt, basiert auf eigenen Kindheitserinnerungen.

Khalil erinnert sich: «Ich wurde in einem kleinen kurdischen Dorf in der Nähe der Stadt Kamishli in Syrien geboren. Dort hatte ich mit sechs Jahren meinen ersten Schultag. Meine Gefühle waren an jenem Tag eine Mischung aus Freude und und Angst. Ich habe mich darauf gefreut, die Schule zu besuchen und wie die Grossen Hefte und Bücher zu bekommen. Gleichzeitig machte mir das Unbekannte auch Angst. Gleich am ersten Tag verbot uns der Lehrer Kurdisch zu sprechen. Ich blieb still … Die Schulen in Syrien damals waren kein Ort zum Lernen, sondern ein Ort, um Kinder nach den Idealen der Baath-Partei zu erziehen. Erziehung auf Basis von Gehorsam, Angst und Loyalität im Dienste des Diktators.»

Die Vorfreude auf die Schule ist beim sechsjährigen Sero (Serhed Khalil) gross, bis er die Knute des neuen Lehrers (Jalal Altawil) zu spüren bekommt. Der duldet die kurdische Sprache nicht und benutzt den Rohrstock als Disziplinierungsinstrument. Der arabische Staat samt Diktator ist das Mass aller Dinge. Die Kinder werden militärisch gedrillt. Unter solchen Verhältnissen wächst die Angst, wird auch der kurdische Knabe diffamiert. Erzfeind ist Israel, und die Knaben sollen einst gegen den Nachbarn ins Feld ziehen. Seros Familie ist gefährdet und sucht Fluchtmöglichkeiten. Der Vater bittet um Hilfe beim jüdischen Händler und um ein Dokument.

Auch wenn Ereignisse und Umstände über vierzig Jahre zurückliegen mögen, sind sie bis heute aktuell: Repressalien, Verfolgung von Minderheiten (in Syrien wurden alle jüdischen Menschen vertrieben), Militarismus, Hasspredigen sind bis heute in Syrien an der Tagesordnung. Mano Khalil beschreibt sehr sensibel, auch mal drastisch die nationalistischen, menschenfeindlichen Verhältnisse in einem Dorf-Mikrokosmos. Es gibt auch heitere, spitzbübische Momente. Sein Spielfilm «Nachbarn» ist trotz aller Tragik auch Zeichen für Hoffnung und Menschlichkeit, die sich nicht wegdiktieren lässt.


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Schweiz 2021
124 Minuten

Buch und Regie: Mano Khalil
Kamera: Stéphane Kuthy

Darsteller: Serhed Khalil, Jalal Altawil, Jay Abdo, Tuna Dwek, Zirek, Mazen Al-Natour


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