La nuit du 12

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Grausamer Mordfall: Ermittler Yohan (Bastien Bouillon, oben links) und sein Kollege Marceau (Bouli Lanners) stehen vor einem Rätsel, lassen aber nicht locker. (Ascot Elite).



 

Ein unendlicher Mordfall

 
Es gibt Unmenge von Krimis auf den Bildschirmen, auf der Leinwand, aber nur überschaubar wenige, die haften bleiben, die sich einbrennen wie ein Tattoo, wie eine Narbe. Genauso wirkt der Thriller ist «La nuit du 12 – In der Nacht des 12.» Wie eine Narbe oder ungelöschte Hypothek begleitet ein Mordfall den ermittelnden Kriminalbeamten Yohan Vivès (Bastien Boillon). In der Nacht vom 12. Oktober 2016 macht sich Clara (Lula Cotton-Frapier) nach einer Party auf den Heimweg. In der Parkanlage der Industriestadt Saint-Jean-de-Maurienne kreuzt ein Unbekannter ihren Weg, übergiesst sie mit Benzin und zündet sie an.

Die Kriminalbeamten von Grenoble machen sich an die Arbeit, allen voran Kommissar Yohan und sein älterer Kollege Marceau (Bouili Lanners). Alle Verwandte und Bekannten werden befragt, die erschütternden Eltern Royer (Charline Paul, Matthieu Rozé), die beste Freundin Nanie (Pauline Serieys), der Lebensgefährte Wesley (Baptiste Perais) oder der Klettercoach Jules (Jules Leroy), zu dem Clara vermeintlich eine sexuelle Beziehung hatte. Leben und Umfeld des Opfers werden durchleuchtet, infrage gestellt, die Ermittlungen bleiben indes stumpf, führen ins Leere.

Wie besessen verfolgt Yohan jede Spur, nimmt den Fall persönlich, verbohrt sich, verzweifelt schier. Die junge Kollegin Nadia (Mouna Soualem) gibt neue Impulse, bestärkt Yohan, den Velofan. Doch wie bei den Runden, die er im Velodrom von Eybens bei Grenoble dreht, bewegt sich seine Arbeit im Kreis. Drei Jahre später – Kollege Marceau hat längst verbittert den Dienst quittiert – lässt eine engagierte Richterin (Anouk Grinber) den Fall Clara nochmals aufrollen. Yohan schöpft neue Hoffnung – auch auf dem Velo. Denn er folgt dem Rat eines Freundes und bewegt sich nun in freier Natur, strampelt Passstrassen hoch in den Savoyer Alpen.
 
Regisseur Dominik Moll («Lemming», «La Haine), Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, in Baden-Württemberg aufgewachsen, liess sich vom Sachbuch «18.3. – Une Année à la PJ» inspirieren. Die Autorin Pauline Guéna hatte darin ihre Erfahrungen bei der Kripo von Versailles verarbeitet, hatte über den Alltag, die Routine, Belastungen und menschliche Dramen berichtet – auf über 500 Seiten. Filmer Moll hat einen Fall herausgepickt: «Pauline Guéna berichtet, wie dieser Fall einem der Ermittler besonders nahegeht. Diese fast intime Beziehung zu einem Verbrechen ist genau das, was mich interessiert hat. Die Geschichte liess mich nicht mehr los, so wie der Tod der jungen Frau auch Yohan nicht loslässt.»

«La nuit du 12» folgt nicht den gängigen Krimispuren, nimmt nicht den Täter aus Korn, sondern die betroffenen Menschen – vom Mordopfer bis zu den Fahndern und Kriminalen. Es geht um Gewalt und Ohnmacht, um Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die hier stark vertreten sind. Dominik Moll fragt sich: «Zahlreiche Delikte sind Fälle von männlicher Gewalt gegenüber Frauen … Die Kriminalpolizei, die diese Gewalt bekämpfen soll, ist fast ausschliesslich männlich. Selbst wenn in Filmen und Serien auf lobenswerte Weise immer mehr Ermittlerinnen gezeigt werden, ist es in Wirklich bisher nach wie vor eine Männerwelt. Was geht im Kopf dieser Männer vor, die Verbrechen an Frauen untersuchen, die ihre Töchter, Lebensgefährtinnen, Freundinnen oder Schwestern sein könnten? Wie betrachten sie die Verdächtigen? Und die Opfer?»

Keine Zweifel gibt es über die Eindrücklichkeit, innere Dynamik und düsteren Atmosphäre dieses einzigartigen Thrillers, der am Ende doch kleine Lichtblicke erlaubt. Der Film hat dokumentarischen Charakter und fesselt auch ohne Action, Verfolgungsjagden und Brimborium. Seit seinem Kinostart in Frankreich (Cannes 2022) und Deutschland (Januar 2023) hat «La nuit du 12» beachtliche Preise abgeräumt, beispielsweise sechs César (Bester Film, Bestes Drehbuch u. m.) sowie Prix Lumières 2023 (Bester Film, Bestes Drehbuch).


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Frankreich 2022    
115 Minuten

Regie: Dominik Moll
Buch: Moll und Gilles Marchand
Kamera:  Patrick Ghiringhelli

Darsteller: Bastien Bouillon, Bouli Lanners, Théo Cholbi, Mouna Soualem, Pauline Serieys, Baptiste Perais, Lula Cotton-Frapier, Anouk Grinberg
 

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