Genesis 2.0

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Bild oben: Die Wissenschaft kennt keine Grenzen: Forscher in Südkorea wollen ein Wollhaarmammut klonen. Neue Herren der Schöpfung?
Unten: Beute aus der Urzeit: Männer des Jakutenvolkes graben Mammutzähne aus dem sibirischen Eis. (Frenetic)


Von Gräbern und Gelehrten


Als wär's es ein Epos von Homer: Es heisst «Olonkho – Eles Bootur», ist ein jakutisches Heldenepos, umfasst ca. 15 000 Zeilen und wurde von der UNESCO ins «Kulturerbe der Menschheit» aufgenommen. Eine weibliche Stimme zitiert: «Schau her… schau her. Breitschultrig wie du bist. Dumm wie du bist. Kräftig genug bist du ja. Aber auch leichtsinnig. Einfältig und prahlerisch bist du. Wenn ich dich anschaue… kein Zweifel…». Diese Worte begleiten Bilder, die eine eisige, archaische und menschenfeindliche Landschaft unter dunklem, grauen Himmel zeigen, wie ein Relikt der Urzeit, der Genesis mutet sie an: Sibirien.

Hier beginnt der Film von Christian Frei, mit Männern auf der Jagd, auf der Suche. Ihr Revier sind die vier Inseln des Neusibirischen Archipels. Die Männer stammen aus Jakutien, früher waren sie Fischer, nun sind sie Jäger oder Schatzsucher auf der Suche nach dem Weissen Gold, nach Mammutzähnen. Die sind begehrt – bei Chinesen und Forschern. Die «Goldgräber» der Arktis stochern im schmelzende Eis, graben und pickeln die Mammutzähne aus grauer Vorzeit aus, die im Permafrost konserviert wurden. Und die sind mehr als 4000 Jahre alt. Das bekannteste Exemplar dieser Art ist das Wollhaarmammut und hatte die Grösse eines Elefanten. Und solch einen Kadaver, tiefgefroren, entdeckten die Jäger um Peter Grigoriev und Spira Sleptsov 2013 im Eisschlamm. Ein gefundenes Fressen für die Forscher in Südkorea, die in Soul Tiere klonen. Über 800 Hunde haben Woo Suk Hwang, einst gefeierter, dann als Betrüger entlarvter Forscher, und sein Team in der Klonfabrik Sooam Biotech geklont. Preis eines Hundes: 100'000 Dollar. Ziel der Forscher: Aus den ausgegrabenen Genen ein Wollhaarmammut «herstellen» und animieren. Das bedeutet: Sie wollen bewusst oder unbewusst in die Schöpfung einzugreifen, sie zu «verbessern», heisst es.

Diese beiden Ebenen verknüpft Frei grandios – hier die archaische Eiswelt und ihre «Schätze», die Männer, die im auftauenden Eis (Klimaerwärmung) wühlen, ihr Leben riskieren (einige kommen in jeder Saison um) und lächerlichen Beutelohn neziehen, dort die Genforscher, Gelehrten und «Schöpfer», die kühlen Wissenschaftler und Museumsverwalter wie Peters Bruder Semyon Grigoriev, Direktor des Mammutmuseums in Jakutsk.

Frei kommentiert nicht, kritisiert nicht und bringt es auf den Punkt, als eine führende Mitarbeiterin der chinesischen Gendatenbank in Shenzhen, der grössten der Welt, gefragt wird, ob sie denn keine Skrupel und Bedenken hätte, in die Schöpfung einzugreifen. Sie ist sprachlos. Frei will mit seinem Film nicht die «Zukunftstechnologie 'Synthetische Biologie' umfassend diskutieren und in ihrer ganzen Komplexität vorstellen». Er gibt Einblicke und Anstösse, stellt Fragen, klärt auf. «Genesis 2.0» ist eine filmische Reise zwischen Gestern und Morgen, zeichnet das Bild des Spannungsfelds zwischen Mythos und Zukunft, Abenteuer und Mahnung zugleich. Freis Dokumentarfilm erfüllt höchste Ansprüche in Bild (Kamera: Peter Indergand) und Thema – realistisch, visuell virtuos, irrsinnig und bedenklich. Naturspektakel und Horrorvision zugleich – ist es Zufall, dass just zwei Schweizer Filme das Klonen zum Thema machen? Hier urzeitliche und gegenwärtige Tiere in «Genesis 2», die rekonstruiert und belebt werden sollen; dort im Spielfilm «Der Unschuldige» (siehe Filmkritik), in dem die Kopftransplantation eines Affen durchgeführt wird. Eine fragwürdige Zukunft.


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Schweiz 2018
113 Minuten

Regie: Christian Frei und Maxim Argugaev
Buch: Christian Frei
Kamera: Peter Indergand, Maxim Argugaev


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