Der Fall Collini

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Der Anwalt (Elyas M'Barek) versucht, hinter das Geheimnis des Täters Collini (Franco Nero) zu kommen, und recherchiert in Italien. (Praesens-Film)



Ein Fall von Schuld und Sühne

Siehe Interview mit Regisseur Marco Kreuzpaintner

Weil die Justiz ihm Gerechtigkeit verweigert, nimmt ein Mann das Recht selber in die Hand und erschiesst einen Grossindustriellen mit SS-Vergangenheit. «Vom Fenster aus konnte Collini das Brandenburger Tor sehen, es kam ihm merkwürdig nah vor. Zwanzig Minuten später war der Mann tot. Vier Projektile waren in seinen Hinterkopf eingedrungen, eines hatte sich im Gehirn gedreht, war wieder ausgetreten und hatte das halbe Gesicht weggerissen. Der beige Teppich saugte das Blut auf, der dunkle Umriss wurde langsam grösser. Collini legte die Pistole auf den Tisch. Er stellte sich neben den Mann am Boden, starrte auf Altersflecken auf dessen Handrücken. Mit dem Schuh drehte er den Toten um. Plötzlich trat er mit dem Absatz in das Gesicht des Toten, er sah ihn an, dann trat er wieder zu.» Fast akribisch, sachlich kühl schildert Ferdinand von Schirach, wie ein alter Mann einen anderen alten Mann tötet, als wolle der Mörder eine Schuld tilgen, die Vergangenheit auslöschen.
«Der Fall Collini» (2011) ist eine Fallstudie von Selbstjustiz mit historischem Hintergrund – und ein Bestseller, nunmehr in 4. Auflage (2017, btb Verlag). Der Bayer Marco Kreuzpaintner hat ihn verfilmt (siehe Interview mit dem Regisseur).

Ein Mord im Berliner Hotel Adlon. Der italienische Fremdarbeiter Fabrizio Collini, pensioniert, hatte einen angesehenen Unternehmer kaltblütig erschossen. Junganwalt Caspar Leinen (Elyas M'Barek) wird die Pflichtverteidigung im Fall Collini angeboten. Die gewieften Justizprofis, Staranwalt und Rechtsprofessor Richard Mattinger (Heiner Lauterbach) und Richterin (Catrin Striebeck), meinen es gut mit dem Neuling. Ein Routinefall, der freilich öffentliches Interesse weckt. Leinen bekommt Gewissensbisse, als erfährt, dass das Opfer Hans Meyer (Manfred Zapatka) ist, sein Ersatzvater und Grossvater seiner Jugendliebe Johanna (Alexandra Maria Lara). Johanna ist es dann auch, die ihn dringend bittet, den Fall abzugeben. Starjurist 'Mattinger, der als Nebenkläger der Familie Meyer auftritt, bestärkt ihn zuerst und setzt ihm dann zu. Caspar Leinen fühlt sich an seine Pflicht als Rechtsvertreter gebunden und will sich auf keinen Deal einlassen.
Leinen versucht, den verschwiegenen 70-jährige Collini (Franco Nero) zu einer Aussage zu bewegen. Doch der verweigert sich, schweigt beharrlich und gibt seine Motive nicht preis. Leinen forscht nach, was es mit der Tatwaffe und der Verbindung des Ermordeten mit dem Italiener auf sich. Im Heimatdorf Collinis in der Toscana stösst er auf Ereignisse im Jahr 1944, als deutsche SS-Besatzer Exempel an Dorfbewohner statuierten – als Strafaktion für einen Anschlag der Partisanen. Hans Meyer war daran massgeblich beteiligt, und Collini war Zeitzeuge. Der wollte bereits in Ende der Sechzigerjahre den SS-Obersturmbannführer Meyer anklagen, scheiterte aber an neuen Gesetzen (Dreher-Gesetz 1968) der Bundesrepublik. Die deutschen Kriegstäter konnten nicht mehr des Mordes beschuldigt werden und kamen als «Totschläger» davon. Das Gesetz hatte so den Weg für Verjährung geebnet.

Das ist der historisch-juristische Hintergrund zum «Fall Collini», ein fiktiver Fall mit politischem Hintergrund, den Ferdinand von Schirach in seinem Roman konstruiert hat. Marco Kreuzpaintner (42) wurde der Stoff angetragen. Er hat ihn nahe an der Textvorlage mit namhafter Besetzung griffig verfilmt. Komödienstar Elyas M'Barek («Fack ju Göhte») zeigt, dass er auch anders kann und lieferte als hartnäckiger Rechtsvertreter einen überzeugenden Part ab. Alexandra Maria Lara («Der Untergang») bleibt eher blass als Enkelin des getöteten Unternehmers mit schwarzer Weste. Franco Nero («Django») wirkt wie in Stein gemeisselt – als Täter, der das Recht selbst in Hand nimmt, und erinnert irgendwie an die stoischen Revolverhelden der Italowestern dazumal.
Marco Kreuzpaintners Justizdrama, Thriller und Beziehungsdrama zugleich, ist anspruchsvoll und spielt auf drei Zeitebenen – 1944, 1981/86 und 2001. Der Roman hält sich weitgehend an ein stringentes Muster, bis auf eine Rückblende.

Kernthema ist das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit. Ein Justizskandal der Bundesrepublik Deutschland, der kaum noch in Erinnerung ist, wird hier aufgerollt. Ein Justizfilm, aufwühlend, bewegend und spannend, über ungesühnte Schuld und Vernetzungen, Bedürfnis nach Gerechtigkeit und über unauslöschbare Vergangenheit. Stark.


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Deutschland 2019
116 Minuten

Regie: Marco Kreuzpaintner
Buch: Christian Zübert, Robert Gold, Jens-Frederik Otto

Kamera: Jakub Bejnarowicz

Darsteller: Elyas M'Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach, Manfred Zapatka, Franco Nero


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