Chris the Swiss

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Ins Räderwerk des Jugoslawien-Krieges geraten: Der Schweizer Christian «Chris» Würtenberg wurde 1992 getötet. (First Hand Films)



Verirrt, verloren, verstorben


Als zehnjähriges Mädchen erfährt Anja Kofmel vom Tod ihres Cousins Christian «Chris» Würtenberg. Er starb 1992 als Söldner nahe der serbischen Grenze, 27 Jahre alt. Dies Ereignis liess sie nicht mehr los, verfolgte sie wie eine grosse Unbekannte. Anja Kofmel 1982 in Lugano geboren und in der Nähe Zürichs aufgewachsen, studierte Animation in Luzern, Paris und nahm an Workshops in London teil. Schon ihr Diplomfilm «Chrigi» (2009) befasste sich mit jenem jungen Schweizer, den der Krieg in den Neunzigerjahren nach Jugoslawien lockte. Im Banne dieser tödlichen Auseinandersetzung auf dem Balkan wurde der Berichterstatter «Chris the Swiss» zum Söldner. Er hatte sich freiwillig der First Platoon of International Volunteers (PIV) angeschlossen und wurde ermordet. Wie konnte das sein, ein junger Mann vom Krieg verführt?
«Mit der Todesnachricht damals kam sozusagen das Böse in mein Leben», erinnert sich Anja Kofmel. «Ich habe den Cousin nicht einmal besonders gut gekannt, aber ich habe ihn, den Journalisten, irgendwie bewundert, der viel gereist, in Thailand, in Südafrika gewesen ist. Er hat irgendwie meine Phantasie, meine eigene Abenteuerlust angeregt. Später, als ich in seinem Alter war, hat mich dann die Frage beschäftigt, warum stirbt einer so jung und dann noch so brutal? Was war da passiert?»

Zwanzig Jahre nach dem Todesfall entschloss sich die angehende Filmerin, den Spuren ihres Cousins zu folgen und einen Film über sein verhängnisvolles «Abenteuer» in Kroatien, über seinen fatalen Einsatz und seine Fehleinschätzung zu drehen. Sie nutzte Animationssequenzen, um die Kinderperspektive, ihre Erinnerungen und den letzten Lebensabschnitt des Cousins zu visualisieren. Dazu kommen persönliche Reiseeindrücke aus dem heutigen Kroatien, Gespräche mit Kollegen, Journalisten, beteiligten Söldnern und Familienangehörigen wie dem Bruder, dem Vater, der Mutter. Sie äussern sich zum «Fall Chris». So entstand ein düsteres Bild über Krieg und Männer, über Gewalt und Täter, die ihr erliegen. Die Verbindung von Zeichnungen, die wie dunkle bedrohliche Märchenbilder wirken, und Realaufnahmen verdichtet sich zu einem einzigartigen Dokumentarwerk, das keine definitive Klärung über «Chris the Swiss» und seinen gewaltsamen Tod liefert. Die Kombination macht einen starken nachhaltigen Eindruck. Kofmels Filmwerk beschreibt Menschen, die zu Kriegern werden, erzählt von Verrat, Verletzungen und Verlusten. Die animierten schwarzweissen Bilder, in einem kroatischen Studio entwickelt, wirken suggestiv, verstörend, begleitet von einem unheimlichen Sound (eingespielt von einem Orchester in Budapest). Man weiss am Ende zwar nicht, ob das Opfer auch Täter war und weswegen er umgebracht wurde – vielleicht als potenzieller «Verräter» und Spion? Aber man weiss, dass der Krieg seine Kinder frisst, dass an allen Beteiligten Schmerz, Dreck und Blut klebt.

Anja Kofmel ist mit diesem «Gesellenstück» ein Meisterstück gelungen. Eine Ausstellung informiert über die akribische Entstehung des Films und vertieft gleichzeitig die Ambitionen der Filmautorin Anja Kofmel: «Making of exibition on 'Chris the Swiss'» im Animatorium, Leuengasse 15, Zürich, bis 22. September 2018.


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Schweiz 2018  
92 Minuten

Regie: Anja Kofmel
Drehbuch: Anja Kofmel
Kamera: Simon Guy Fässler

Mitwirkende: Anja Kofmel, Christian Würtenberg, Familie Würtenberg


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