Berlin Alexanderplatz

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Ein Teufel in Menschengestalt: Reinhold (Albrecht Schuch), Dealer und Drahtzieher, gewinnt das Vertrauen des Flüchtlings Francis (Welket Bunguë). Licht und ein Engel am Horizont: Mieze (Jella Haase), Callgirl und barmherzige Samariterin, schenkt Franz, dem Suchenden, Halt und Hoffnung. (Filmcoopi)


Berlin – die Hölle auf Erden


Die Wilden Zwanziger toben – zurzeit im Zürcher Kunsthaus. Doch dort spielen Franz Biberkopf und sein Proletarierschicksal am Alexanderplatz freilich keine Rolle. Wohl aber im Fernsehen und im Kino. Ein kurzer Blick zurück: Alfred Döblin schrieb seinen Szeneroman «Berlin Alexanderplatz» in den Zwanzigerjahren. 1929 wurde er veröffentlicht und 1931 erstmals verfilmt mit Heinrich George (Franz) und Bernhard Minetti (Reinhold). 50 Jahre später erfolgte die Ausstrahlung der Fassbinder-Fassung. RWF hatte die Geschichte vom Proleten Franz Biberkopf fürs Fernsehen verfilmt – in 14 Teilen mit Günter Lamprecht (Franz), Gottfried John (Reinhold) und Barbara Sukowa (Mieze). Diese monströse TV-Reihe, düster und dunkel von Regiegenie Rainer Werner Fassbinder inszeniert, ist nun wieder bei Arte zu sehen (leider nicht in der Schweiz zu empfangen).

Ganz anders ging Jungregisseur Burhan Qurbani zu Werke. Nach wie vor heisst der Schauplatz Berlin, nach wie vor lässt sich Franz Biberkopf vom dämonischen Reinhold verführen und benutzen, wird Mieze, die Geliebte des Francis alias Franz, ein Opfer teuflischer Machenschaft. Auch in der Neuverfilmung ist Berlin ein Moloch, wird Liebe geopfert, wird das Leben zur Hölle auf Erden. Nur verschieben die Autoren Qurbani und Martin Behnke die Tragödie Alfred Döblins aus den Zwanzigern in die Gegenwart, wird Prolet Franz zum afrikanischen Flüchtling Francis.

In fünf Kapiteln plus Epilog erzählt das dreistündige Filmdrama von Flucht und Verlust des Flüchtlings aus Guinea-Bissau, von der Wandlung des Emigranten zum Einheimischen, vom Opfer zum Täter (Kriminellen) und Opfer. Es ist auch die Geschichte einer «verteufelten» Liebe, eine Moritat über blindes Vertrauen, Verrat und Boshaftigkeit, die Spiegelung falschen Spiels und tragischer Verhältnisse, Sehnsüchten und eines tragischen Scheiterns. Die Neuverfilmung «Berlin Alexanderplatz» ist abgrundtief böse und brutal, schäbig und schillernd, kühn und krass, dabei zeitnah zeitlos.

In der Passionsgeschichte des Franz Biberkopf (eindrücklich gespielt von Welket Bunguë) spiegeln sich Rassismus ebenso wieder wie Emigrantenschicksale, die Sehnsucht nach Heimat und Anerkennung. Mieze (packend Jella Haase) verkörpert eine Art moderne Maria Magdalena, wird unschuldig schuldig, trägt Hoffnung und Verderben. Der Teufel, sprich Reinhold, zieht die Fäden, verführt, verdirbt, zerstört. Fausts' Mephisto dagegen ist ein Menschenfreund. Albrecht Schuch («Systemsprenger») verkörpert grandios diesen dämonischen Reinhold, halb seelischer Krüppel, halb perfider Macho – eine Ausgeburt des Bösen, des Neids, der Zerstörung. Schuch wurde für seine Leistung zu Recht mit dem deutschen Filmpreis, der Lola, ausgezeichnet.

Qurbanis «Berlin Alexanderplatz» ist ein ausserordentliches, radikales Kinowerk, ein Monument in drei Stunden gemeisselt – über den Traum eines Menschen, der Guten will, aber Böses tut, über verfehlte Integration, falsche Freunde und Liebe. Dass am Ende ein Hoffnungsschimmer auftaucht, der Berlin Alexanderplatz heisst, mag man verzeihen. Was bleibt, ist eine Achterbahn der Gefühle, eine Odyssee des Scheiterns, ein Monstrum des Unmenschlichen und des Menschlichen.


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Deutschland 2019  
183 Minuten

Regie: Burhan Qurbani
Buch: Qurbani, Martin Behnke
Kamera: Yoshi Heimrath

Darsteller: Welket Bunguë, Albrecht Schuch, Jella Haase, Joachim Król, Annabelle Mandeng


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