A Forgotten Man

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Schatten der Vergangenheit: Dem heimkehrenden Botschafter Heinrich Zwygart (Michael Neuenschwander) bläst eisiger Wind entgegen. Auch sein Vater (Peter Wyssbrod , im Bild links) ist keine Hilfe und hängt an alten Zeiten (Xenix)

 

Vergangen, aber nicht vergessen

 
Schweiz 1945. Das Nazi-Reich liegt in Trümmern. Der Schweizer Boschafter kehrt aus Berlin zurück. Der historische Hans Frölicher (1887-1961) hatte sich mit den braunen Machthabern arrangiert. Dramatiker Thomas Hürlimann hatte dies in seinem Theaterstück «Der Gesandte» (1991) angezweifelt, ob der Diplomat tatsächlich eine reine Weste hatte. Diese Problematik greift Laurent Nègre in seinem Spielfilm «A Forgotten Man» auf. Hier heisst der Diplomat Heinrich Zwygart, überzeugend verkörpert durch Michael Neuenschwander.

Heimkehrer Zwygart wird in Bern frostig aufgenommen. Der politische Wind hat sich gedreht. Die Nazis werden nun als Kriegsverbrecher und Menschenmörder gebrandmarkt. Und der Schweizer Diplomat, der die Interessen der Schweizer Wirtschaft und Finanzen vertrat, wird mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Nicolas (Yann Philipona), der Freund seiner Tochter Hélène (Clea Eden), bohrt nach und will wissen, ob sich Zwygart für den Schweizer Maurice Bavaud (Victor Poltier) eingesetzt hat, der 1938 ein Attentat auf Hitler geplant hatte. Doch der hat tatenlos politisch opportun zugesehen haben, wie der Schweizer gefasst und gehenkt wurde. Der smarte selbstsichere Opportunist ist verunsichert und wird Bavauds Geist nicht los. Alpträume verfolgen ihn.

Der Spielfilm nimmt sich gewisse dramatische Freiheiten heraus, was den Studenten Nicolas angeht, der den Opportunisten beschuldigt. Bestechend gleichwohl ist das kammerspielartige Drama mit dokumentarischem Charakter. Es verdichtet. In der Figur Zwygarts spiegelt sich die politische Stimmung in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg, hier zugespitzt auch auf die Frage: Ist der Diplomat Täter oder Opfer, war die Schweiz mitschuldig und eigensüchtig oder befangen und genötigt?

Am Ende dieses schwarzweissen Dramas um den Diplomaten im braunen Deutschland taucht eine Schweizer Fahne auf – schmutzig rot eingefärbt. Vielsagend. Regisseur Laurent Nègre hat ein Stück Schweizer Geschichte in ein Kammerspiel «eingepackt» und aufgerollt. Sein kompromissloser Spielfilm über Schuld und Vergessen spiegelt eine ambivalente Schweiz zwischen Geschäft und Gewissen. Der Filmtitel «A Forgotten Man» greift freilich nicht: Wieso englisch. Und wer vergisst hier: der Mann aus Berlin oder die Schweizer Politik bezüglich Nazi-Geschäften oder beide?


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Schweiz 2022      
85 Minuten

Buch und Regie: Laurent Nègre
Kamera: Diego Dussuel

Darsteller: Michael Neuenschandser, Manuela Biedermann, Clea Eden, Yann Philipona, Peter Wyssbrod
 

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