Öndög

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Die einsame Hirtin (Dulamja Enkhtaivan) nennt man Dinosaurier, sie ist urwüchsig, robust, selbstbestimmend. (Trigon-Film)



Steppenpanorama mit Hirten


«Die Frau in der Steppe, der Polizist, das Ei», heisst es lapidar im Untertitel und trifft den Kern des mongolischen Liebesfilms. An der Berlinale 2019 feierte er Premiere. Die C-Sperre verwehrte dem Film aus der Mongolei den Kinozutritt, aber «Öndög» (Ei) ist nun dank Streamingdienst des Verleihs Trigon-Film daheim zu sehen.

Man traut seinen Ohren kaum: Ist da etwa Elvis' Lovesong «Love Me Tender» mitten in nächtlicher Steppe zu hören? In der Tat, ein junger Polizist (Norovsambuu Batmunkh) tanzt zu dieser Musik mutterseelenallein, um sich in der Kälte warm zu halten. Er hat den Auftrag, eine nackte weibliche Leiche zu bewachen (Wölfe!), bis sie am nächsten Morgen von einem Polizeifahrzeug abgeholt werden kann. Der 18 Jahre junge Mann wäre schier erfroren, wenn da nicht eine robuste Hirtin (Dulamjav Enkhtaivan) wäre, die vom lokalen Polizeichef angehalten wurde, dem jungen Wächter zu helfen. Und das tut sie wie selbstverständlich, verjagt die Wölfe mit ihrem Gewehr, hält den armen Kerl warm – mit Alkohol, Lagerfeuer und Sex. Und ein Kamel bietet dazu Schutz in dieser eisig feurigen Nacht. Männer nennen sie «Dinosaurierin», die Hirtin mit Kamel und Schafen, die einsam in einer Jurte lebt. Bisweilen ruft sie via Handy den befreundeten Hirten Orgil (Aorigeletu), um ein Schaf zu schlachten oder ein Kälbchen zu gebären. Er, der Kerl mit dem Motorrad, begehrt sie, liebt sie, doch die Hirtin stellt sich scheinbar stur, obwohl …

Dann stellt die alleinstehende Frau mittels Röhrchentest fest, dass sie schwanger ist. Der Jungpolizist ist – wie auch die Leiche – kein Thema mehr im Steppenfilm «Öndög» des Chinesen Quan' an Wang. Die Frau aus der Steppe, eigensinnig, selbständig, hat eigene Pläne. Sie weiss, dass auch Dinosaurier ein Ei (Öndög) besitzen müssen, um fortzubestehen. Und sie trägt eines in sich … Was anfangs wie ein Kriminalfall anmutet, entpuppt sich als (verdeckter) Liebesfilm, der, von Mythen beeinflusst, trotz kargen Lebensumständen modern daherkommt. Er erzählt eine Parabel vom Leben, vom Weiterleben und Überleben, von Vergänglichem und Gegenwärtigem. Quan' an Wang, der 2007 in Berlin mit «Tuyas Hochzeit» den Goldenen Bären gewann, schuf ein berückendes mongolisches Monument, in dem die Landschaft nicht nur Kulisse ist, sondern, die Menschen einnimmt, umfängt, mitbestimmt, bedroht und beherbergt. Manchmal erinnert der wunderschöne, stille Film an das Steppenepos aus Kasachstan, «The Hunter» (2004) von Serik Aprimov, wo ein Liebesakt auf galoppierendem Ross vollzogen wird, wo Mythen und Landschaft ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Ein Panorama mit wenigen Menschen, das sich erst auf der Kinoleinwand voll entfalten kann.


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Mongolei: 2019
100 Minuten

Buch und Regie: Wang Quan'an
Kamera: Aymerick Pilarski

Darsteller: Dulamjav Enkhtaivan, Novovsambuu Batmunkh, Aorigeletu

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