Insumisas

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Er hilft, wo und wem er kann – ohne Rücksicht auf Geschlecht, Stand und Rasse: Enrique alias Enriqueta (Sylvie Testud) wirkte als Arzt in Kuba. (Sister Distribution)


Eine Jeanne d'Arc des Kolonialismus


Eine Frau, Enriqueta Faber, 1791 geboren in Lausanne, studierte Medizin in Paris – als Mann getarnt, weil Frauen dieses Studium verwehrt war. Enriqueta heiratete einen Soldaten der Napoleonischen Armee, der früh starb, heisst es. Sie wanderte 1819 nach Kuba aus. Enriqueta verwandelte sich in Enrique und praktiziert in Baracoa, einer Stadt in Kubas Osten. Er/sie (Sylvie Testud) geht ganz in ihrem Beruf auf, kennt keine Vorurteile, keine Standes-oder Rassenunterschiede. Er hilft auch geflohenen rebellierenden Sklaven. Der Bürgermeister (Antonio Buil) respektiert den Arzt, auch weil der seiner Familie hilft und ein Unglück verhindert. Doch die weisse Oberschicht bleibt skeptisch, misstrauisch, besonders einer beargwöhnt den jungen Enrique (28): Der lokale Sklavenhändler (Hector Noas) behandelt seine «Ware» sprich Menschen wie Vieh und hat auch die schöne Paria Juana (Yeni Soria) vergewaltigt. Der Arzt ist ihm ein Dorn im Auge, erst recht als Enrique die schöne Juana de Leon, eine ausgesetzte Heilerin, heiratet. Bei einem Überfall 1823 wird Enriques Identität entlarvt – als Frau. Die Gesellschaft lässt ihn/sie wie eine heisse Kartoffel fallen. Ihr wird der Prozess gemacht.

Eine Frau geht ihren Weg, geleitet von ärztlicher Moral und Verpflichtung, allen zu helfen. Sie beugt sich nicht gesellschaftlichen Standesvorstellungen, widersetzt sich der Rassendiskriminierung und steht zu ihrer Liebe. Die Genferin Laura Cazador und der Kubaner Fernando Pérez haben jahrelang recherchiert, um dieser schillernden Figur, die in Kuba mit den kolonialen Gepflogenheiten (die Sklaverei wurde dort erst 1886 benedet) kämpfte und als Frau angefeindet wurde, gerecht zu werden. Ihr Historiendrama nach wahren Begebenheiten ist eine Wucht und Entdeckung.

«Insumisas», bereits 2018 realisiert – heisst die Ungehorsamen, Unbeugsamen oder Verweigerer – hat so gar nichts Schweizerisches, Enges, Beschränktes. Die schweizerisch-kubanische Koproduktion hätte internationale Reputation verdient. Ein packendes intimes Liebes- und Sozialdrama über eine Pionierin, von der man wenig bis gar nichts weiss. Dieser Film über Selbstverwirklichung, Menschenliebe und Gleichberechtigung, angesiedelt vor 200 Jahren, ist aktuell und eine Begegnung wert. Dazu trug auch die französische Schauspielerin Sylvie Testud («Lourdes», «Jenseits der Stille») wesentlich bei. Sie verkörperte Enriqueta/Enrique bis zur Schmerzgrenze – eine moderne Jeanne d'Arc, die in Vergessenheit geraten ist.



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Schweiz, Kuba 2018
95 Minuten

Buch und Regie: Fernando Pérez und Laura Cazador
Kamera: Raul Perez Ureta

Darsteller: Sylvie Testud, Yeni Soria, Antonio Buil, Hector Noas


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