Green Border

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Aufgelaufen: Eine syrische Familie strandet an der Grenze zwischen Belarus und Polen. (Trigon-Film)



Flüchtlingsfalle


Tausendfach geschehen in den letzten Jahrzehnten: Menschen setzen alles auf eine Karte, geben ihre Heimat auf und suchen ihr Heil und Glück im europäischen Ausland. Mal kommen die Menschen aus Afrika, mal aus dem Nahen Osten, aus Afghanistan oder Europa (siehe Ukraine). Sie alle suchen Sicherheit in der Fremde und hoffen eine materiell bessere Zukunft. Das Thema ist schier zeitlos in der Filmgeschichte – von Schweizer Filmen wie «Die letzte Chance» (1945) und «Reise der Hoffnung» (1990) bis zur jüngsten italienischen Produktion «Io Capitano».

Nun hat die polnische Regisseurin Agnieszka Holland ihren Finger auf eine offene Wunde in Polen gelegt und wurde prompt seitens nationalistischer PiS-Regierungssympathisanten angegriffen und als «Nestbeschmutzerin» diffamiert. Die alten Staatsvertreter sind abgewählt, es gab Verbesserungen, doch das Problem des «Grenzschutzes» bleibt – nicht nur in Polen, sondern auch in Deutschland, der Schweiz, in den USA und sonstwo.

Oktober 2021. Bashir (Jalal Altawil) und seine Familie haben ihre Heimat Syrien verlassen, sind vor Krieg und den IS geflohen. Sie sind mit Flugzeug auf dem Weg nach Belarus. Weissrussland soll nur eine Zwischenstation sein, denn ihr Ziel heisst Schweden, wo Bashirs Bruder lebt. Der Transfer nach Polen wird an der Grenze von Banditen gestoppt, die den Flüchtlingen Geld und mehr abnehmen. Die syrische Flüchtlingsgruppe, eine Afghanin und andere erreichen Polen, werden aber von den Grenzsoldaten abgefangen und nach Belarus zurückgebracht. Die Emigranten, von den Grenzwächtern verächtlich als «Touristen» taxiert, werden wie Vieh behandelt. Einer der Vollzugsbeamten ist der Grenzwächter Jan (Tomasz Wlosok), mit Kasia verheiratet, die ein Kind erwartet. Er muss sich fügen, ist ein Werkzeug der Regierung, aber er hegt Zweifel an seiner Tätigkeit, bekommt Gewissensbisse und reagiert.
Eine Gruppe junger Leute um die Schwestern Marta und Zku leistet im Untergrund Hilfe und setzt sich für die Flüchtenden ein, die hin- und hergeschoben werden. (Diese Aktion wird «Push Backs» genannt.) Zu den Aktivisten gesellt sich die Psychologin Julia (Maja Ostaszewska), die alleine in der Wildnis haust. Sie bringt die Afghanin Leila (Beh Djanati Atai) und Nur, eine Tochter Bashirs, vor den «Jägern», sprich Grenzsoldaten, in Sicherheit.

Das Grenzgebiet ist wild, unwegsam, sumpfig, gefährlich. Weissrusslands Regierungschef Lukaschenko hatte Flüchtlinge quasi hierhergelockt, weil sie von dort leichter nach Europa kämen. Doch Polen machte nicht mit, wies die Emigranten ab, schickte sie zurück in Elend, Tod und Verderben. Die angepriesene «Green Border» wurde zur Flüchtlingsfalle. «Das Schicksal dieser Migranten und die humanitäre Katastrophe an einem Ort, der weniger als drei Stunden von Warschau entfernt ist, hat mich sehr bewegt», bekennt Regisseurin Holland. «Ich sah in dieser Situation etwas zutiefst Symbolisches und – vielleicht – ein Vorspiel zu einem Drama, das zum moralischen (und auch politischen) Zusammenbruch unserer Welt führen könnte. Hunderttausende von ukrainischen Kriegsflüchtlingen überqueren jeden Tag die polnische Grenze. Sie erfahren eine riesige Welle von Solidarität und Hilfe, sowohl von der Bevölkerung als auch den polnischen Behörden, die bei der Aufnahme von Opfern anderer humanitärer Krisen bisher so zurückhaltend waren.»

Hollands aufrüttelnder Spielfilm, aufgeteilt in Kapitel wie «The Family», «The Border Guard» oder «Julia», wirkt wie ein Dokumentarfilm, hart an der Wirklichkeit. Sie prangert damit die Doppelmoral an, die Emigranten nach rassistischen Kriterien (Hautfarbe, Herkunft etc.) beurteilt und verurteilt, nicht nur in Polen. Die Hilfe wird selektioniert – allgemein in Europa, die Schweiz eingeschlossen. «Green Border» ist ein starker Appell an die Menschlichkeit über Grenzen und Schranken hinaus. Das Drama wurde in Venedig 2023 mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.


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Polen 2023
147 Minuten

Regie: Agnieszka Holland
Buch: Holland, Maciej Piauk, Gabriela Lazarkiewicz-Sieczko
Kamera: Tomek Naumiuk

Besetzung: Jalai Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Nacus, Tomasz Włosok


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