Tragik zwischen Hofball und Krieg: Ihre Liebe reisst Anna Kareninas (Elizaveta Boyarskaya, Bild oben) in einen Strudel gesellschaftlicher Dünkel. (Trigon Film)
Eine Liebe, die zugrunde geht
Ein Klassiker der Liebes-Weltliteratur wie «Romeo und Julia» oder «Dr. Schiwago»: Leo Tolstois «Anna Karenina». Etwa sechzigmal wurde der Stoff verfilmt. Bedarf es da noch einer weiteren Variante? Die Frage erübrigt sich, denn dieselbe Frage könnte man auch bei biblischen Geschichten, den Sagen Homers, antiken Mythen bis zu König Arthus und seiner Tafelrunde stellen. Interessant ist die Frage des Ansatzes, der Perspektive, der Darstellung. Und in diesem Fall haben wir es mit einer russischen Variante zu tun.
Regisseur Karen Schachnasarow und sein Drehbuchautor Alexei Busin wählen einen neuen Blickwinkel. Sie erzählen die tragische Liebesgeschichte aus Sicht des Liebhabers Wronski. Und so beginnt das grosse Drama nicht in der russischen High Society, sondern auf einem Schlachtfeld 1904 in der Mandschurei. Offizier Wronski (Maxim Matwejew) ist ein Opfer des Russisch-Japanischen Krieges und verletzt. Der Arzt, der ihn versorgt, ist Sergei Karenin (Kririll Grebenschtschikow), Sohn jener Anna (Jelisaweta Bojarskaja), die Wronski einst geliebt und verloren hatte. Der Geliebte erinnert sich an seine Geliebte, an die gesellschaftlichen Verhältnisse, Bürden und Zwänge. Anna war mit dem Beamten Karenin (Witali Kischtschenko) verheiratet, wehrte sich gegen das Werben des jungen reichen Grafen und gibt nach. Diese Liebe reisst beide in einen Strudel gesellschaftlicher Abgründe. Ehemann Karenin versucht, die Fassung zu wahren, Anna vor den Folgen zu schützen, doch die bricht aus ihrem Käfig aus, gebärt Sergei, sieht sich als gehetzte Aussenseiterin gefangen, verlassen. Ihr Sohn versucht dreissig Jahre danach, Licht in die Affäre und um ihren Tod zu bringen. Rätsel bleiben. Und das ist eine der Qualitäten dieser opulenten Verfilmung. Sie weitet den Blickwinkel über die menschlichen Unzulänglichkeiten und Liebesfalle hinaus aus.
Die Idee, den Roman «Anna Karenina» in Rückblenden aufzuschlüsseln, begründet sich auf den Aufzeichnungen des Arztes Wikenti Weressajew, der anscheinend den Grafen Wronski im Lazarett behandelt haben soll. So oder so – das opulente Opus «Anna Karenina» ist Kostümschinken und Liebesdrama, melodramatisches Gesellschaftspanoptikum und Gemälde zugleich, ein monumentales Kinowerk der Marke Hollywood, made in Russia heute.
Russland 2017
98 Minuten
Regie: Karen Shakhnazarov
Drehbuch: Yuri Poteyenko, Karen Shakhnazarov
Kamera: Alexander Kusnetsow
Darsteller: Elizaveta Boyarskaya, Maksim Matveev, Vitaly Kishchenko, Kirill Grebenshchikov
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