L’été dernier

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Triebhafte Zweisamkeit: Anne (Léa Drucker), Anwältin und Mutter zwei Töchter, geniesst die Affäre mit dem Teenager Théo (Samuel Kircher). (Xenix Film)



Eros, Ekstase, Entlarvung


Eine perfide Liaison und ein ungleiches Verhältnis: Anwältin Anne (Léa Drucker) behandelt vorwiegend Missbrauchsopfer und Jugendliche in Schwierigkeiten, lebt anscheinend ein heiles Familienleben mit Ehemann Pierre (Olivier Rabourdin) und zwei adoptierten Töchtern. Irgendwann schneit der 17-jährige Théo (Samuel Kircher) ins Haus, Pierres Sohn aus früherer Ehe. Zuerst geht Anne zum «Fremden« auf Distanz, doch dann wird Annes Neugierde geweckt. Sie hat das Bedürfnis, die Ehe-Routine zu durchbrechen, gibt dem rotzigen Teenager eine Chance und lässt sich auf die verführerischen Avancen des Teenagers ein. So wächst eine leidenschaftliche Liaison, die Anne in vollen Zügen und mit vollem Körper geniesst. Sie weiss um das Risiko, glaubt aber, den Jüngling im Griff zu haben. Doch der hat sich in die attraktive reife Frau total verliebt und plaudert aus verletzter Liebe das Geheimnis aus. Er weiht seinen Vater Pierre ein. Und Anne reagiert wie ein verwundetes Raubtier, beschuldigt den Lover der Arglist und Lüge.

Das abgrundtiefe Liebesdrama «L’été dernier» lehnt sich an den dänischen Film «Dronningen» (Königin, 2020) an, in dem ebenfalls eine Rechtsanwältin eine leidenschaftliche Sexaffäre mit ihrem Stiefsohn beginnt, die zerstörerisch endet. Filmautorin Catherine Breillat geht in ihrem Film etwas subtiler vor. Sie schildert eine verzehrende Liebesgeschichte, ihre Heldin Anne gibt ihrem neu erwachten Begehren, ihrem Trieb nach. Ihr «Seitensprung» wird zum existenziellen Akt. Anne ist jedoch nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, sich der Realität, heisst Wahrheit zu stellen. Sie manipuliert, leugnet, um den Schein zu wahren – boshaft und arglistig. Da mag sich ein jeder selbst ein Urteil machen, ob Anne eine triebhafte Hexe, die ihren Lover ins Unglück stürzt, ist oder ein Opfer ihrer Begierde. Für sie mag diese Affäre der «letzte Sommer», eine letzte leidenschaftliche Flamme sein.

Das Thema ist nicht Missbrauch, was man leicht annehmen könnte, sondern Leidenschaft – hemmungslos und zerstörerisch. Catherine Breillat schuf mit diesem Drama ein Abbild der Ekstase, der Hingabe – sehr sexy und schonungslos emotionell. Diesbezüglich liess sich die Regisseurin vom Caravaggios Gemälde «Maria Magdalena in Ekstase» inspirieren, wie sie in einem Interview erklärte. Das Paar Léa Drucker (52) und Samuel Kircher (20) bietet eine beeindruckende, Performance – nicht nur in Bettszenen. Und die 75-jährige (!) Autorin und Filmerin Catherine Breillat – bei uns weniger bekannt – setzte mit diesem durchaus provokanten Film ein neues Ausrufezeichen ihres Schaffens (Filme und Romane), das sich grundsätzlich mit Sexualität und Suche nach sexueller Identität befasst.


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Frankreich 2023
104 Minuten

Buch und Regie: Catherine Breillat
Kamera: Jeanne Lapoirie

Ensemble: Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin, Clotilde Courau, Serena Hu


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