Eintauchen in eine Lebensgeschichte: Der Zürcher Ueli Meier (Bild) machte sich auf Spurensuche und fand einen Mann, der an eigenen Illusionen zerbrach, den Zürcher Walter Rufer. (Bild: Rolf Breiner)


Filmer Ueli Meier und sein Film «Ich habe in Moll geträumt»

Bühne für einen vergessenen Dichter

Ausgangspunkt war ein schmales Tagebuch in Versen, das der Schweizer Autor Walter Rufer 1963 in München veröffentlicht hatte. Beide gerieten in Vergessenheit. Zufällig stiessen zwei Münchner Musiker («Dos Hermanos») auf Rufers Gedichte, trugen sie an ihren Konzerten vor und sorgten 2007 für eine Neuauflage. Der Zürcher Filmer Ueli Meier wurde auf den vergessenen Autor, der bereits 1975 verstarb, aufmerksam und begab sich auf Spurensuche. Ein Gespräch mit dem Filmautor.

Zur Filmkritik

Für mich ist der verschollene, vergessene Schweizer Dichter Walter Rufer eine Entdeckung. Wie bist du auf ihn gestossen?
Ueli Meier: Das ist ein bisschen die Ironie des Schicksals, nämlich ausgerechnet am Tresen der Bar von El Lokal in Zürich. Vor Jahren hatten die «Dos Hermanos» dort ein Konzert gegeben und Texte aus Walter Rufers Tagebuch vorgetragen. Ein Freund von mir hat das erlebt und mir von der Wiederentdeckung des Tagebuchs erzählt. Und dieser Freund, Harry Moser, kannte die Kinder Walter Rufers, er ist der Patenonkel eines Kindes von Urs. Ich habe diese Tresengeschichte notiert in meinem «Baby-Pool», wo ich Zeitungsartikel und Ideen für mögliche künftige Projekte sammele. 2013, nach Fertigstellung der Kinodokumentation «Tibi und seine Mütter» bin ich wieder auf das Thema gestossen. Eine meiner Editorinnen bestärkte mich, diese Geschichte zu verfilmen. Wir haben das Buch im Herbst 2014 besorgt, kannten aber den familiären Hintergrund noch nicht.

Was reizte dich?
Mich hat das Buch gepackt, ich war begeistert von der Heiterkeit und den literarischen Qualitäten, vermeinte aber auch im Text eine grosse Verzweiflung und Einsamkeit zu spüren. Ich hatte den Verdacht, dass es sich dabei um autobiografische Fiktion handelt. Nach der Lektüre wollte ich der Geschichte nachgehen, den Hintergrund erfahren. 2015 habe ich mit Rufers Kindern in der Schweiz Kontakt aufgenommen. Wir haben uns getroffen, und ich habe von meinem Projekt berichtet. Sie waren begeistert und wollten mitmachen.

Gab es irgendwelche Vorbedingungen?
Ich habe von Anfang gesagt: Ich will keine Vorgespräche. Ich möchte von allem Anfang an sämtliche Interviews direkt mit meiner Filmkamera aufzeichnen. Wir, das heisst ein sehr kleines Team, waren allerdings sehr gut vorbereitet – auch innerlich.

Die Ereignisse, Rufers Aufenthalt in München und die Neuauflage seines Buches liegen 60 beziehungsweise 14 Jahre zurück. Wie sah dein Konzept aus?
Mir war klar, dass diese Geschichte im Kino eine neue Lebendigkeit bekommen muss. Ich sah eine Chance darin, diese Gegenwärtigkeit in der Unmittelbarkeit des Erinnerns zu erreichen. Bewusst wurde dabei die Filmtechnik auf ein Minimum reduziert.

Wie fügte sich das zusammen?
Zuerst war das Interview mit der Witwe Margrit Rufer. Da spiegelte sich bereits die ganze Tragödie wieder. Dann sind wir nach Deutschland gefahren und suchten Leute, die Walter Rufer kannten, anschliessend dann Zeitzeugen aus der Schweiz. und Rufers Kinder. Das war unser Gerüst. Für mich war von Anfang klar, dass wir zwei Erzähleben im Film verfolgen, die im Subtext eng miteinander korrespondieren: Die Spurensuche nach Walter Rufer und die Lesung seines Buchs, wofür wir für Walter Rufers Texte eine Bühne bauen. Wir wollten keine filmische Lektüre, sondern die Texte ungefiltert in die Herzen der Zuschauer transportieren.

Wie bist du auf den Schauspieler Thomas Sarbacher gekommen?
Die ideale Besetzung des Schauspielers für die Lesung von Walter Rufers Buch war eine der grossen Herausforderungen. Es sollte auch nie der Eindruck entstehen, das sei der Walter Rufer selber. Nach langer erfolgloser Suche machte mich mein Tonmeister auf den Schauspieler Thomas Sarbacher aufmerksam. Ich habe mit ihm Kontakt aufgenommen. Ohne zu Zögern hat Sarbacher zugesagt. Er ist ein grosses Geschenk für den Film.

Zurück zum Film und zur zweiten Ebene …
Genau. Wir wollten Rufers Geschichte in einem Geflecht aus verschiedener Perspektiven erzählen. Sie basieren auf den Interviews und verschiedenen Bilderwelten. Da gibt es einerseits die Familien-, andererseits die Wiederentdeckungsgeschichte. Das sollten miteinander verknüpft und mit den Texten von Walter Rufers Schwabinger Tagebüchern verwoben werden.

Der Filmtitel heisst «Ich habe in Moll geträumt». Warum nicht der Originalbuchtitel, der so treffend scheint?
Gerade darum nicht. Der Titel gehört ausschliesslich Walter Rufers Buch! Und dieses ist zwar wichtiger integraler Teil, aber nicht der Hauptgegenstand der Filmerzählung. Wie bereits gesagt: Ich wollte mit meinem Film auf keinen Fall das Genre «Eine filmische Lektüre» bedienen. Der von uns gewählte Titel, finde ich, trifft die Stimmung des Films, die ganze Geschichte und Walter Rufer perfekt.

Der Film ist keine Biographie sondern beschreibt die Diskrepanz zwischen Kunst und Leben.
Der Film setzt sich mit den moralischen und materiellen Fragen des Künstlerseins auseinander. Das Universelle an dieser Geschichte ist doch, dass wohl jeder Künstler, jede Künstlerin sich in einzelnen Aspekten des Schicksals von Walter Rufer wiedererkennt und sich mit seiner Problematik, Künstler zu sein, auseinandersetzen muss.

Walter Rufer ist eine tragische Figur – erfolglos als Literat und Stückeschreiber. Zurück in der Schweiz nach 12 Jahren München mühte er sich ab, die Familie irgendwie durchzubringen. Der Alkohol war wohl sein Schicksal.
Verkürzt kann man es vielleicht so sagen. Für viele Schriftsteller wie beispielsweise Joseph Roth oder auch Gottfried Keller war Alkohol oder überhaupt Drogen ein Treibstoff für ihr künstlerisches Schaffen – im guten wie auch gefährlichen Sinne.

Ist Walter Rufer an sich gescheitert?
Sein Anspruch war sicherlich, Hochliteratur zu schaffen. So hat er bezeichnenderweise als sein schriftstellerisches Vorbild den Lyriker Georg Trakl genannt. Er ist aber an seinen eigenen wohl zu hohen künstlerischen Ansprüchen gescheitert. Und doch ist ihm mit diesem einen schmalen Gedichtband «Der Himmel ist blau. Ich auch», der in jeder Hinsicht einzigartig aus seinem schriftstellerischen Schaffen herausragt, vielleicht fast widerwillig ein Stück Literatur gelungen!

Wie so oft war auch die Finanzierung deines Films äusserst schwierig.
Mein Film hat leider weder vom Bund (BAK) noch der Zürcher Filmstiftung öffentliche Fördergelder zugesprochen bekommen. Einzig die Ernst Göhner Stiftung hat mein Projekt unterstützt. Das Filmbudget von 198 000 Franken wurde ausschliesslich von privaten Gönnerinnen und Gönnern, generösen Projektrabatten meiner künstlerischen und technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finanziert - und selbstredend dem vollständigen Verzicht auf all meine finanziellen Ansprüche.

Wie geht's weiter mit Ihrem Film?
Nach seiner Weltpremiere am 36. DOK.fest München 2021 wird mein Film ab 8. Juli zeitgleich in Zürich, Bern und Basel starten. Danach soll die Reise in weiteren Kinos der Schweiz weitergehen.


Ueli Meier
1958 in Zürich geboren.
1977–1980 Fotografenlehre
Freischaffende Fotojournalist (u.a. Magazin des Tages Anzeiger)
Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor
Vater einer Tochter

Dokumentarfilme
2021  Ich habe in Moll geträumt
2013  Tibi und seine Mütter
2004  Der letzte Navigator


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Veröffentlicht Juli 2021