Undine

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Liebe und Tod ausgeliefert: Undine (Paula Beer) hat sich in den Taucher Christoph (Franz Rogowski) verliebt und kann doch ihrem Mythos nicht entkommen. (Filmcoopi)



Liebe zwischen Mythos und Moderne


Sie ist ein Mythos: Ihr Name ist Undine, Nixe, Wassergeist und Elementarwesen. Sie bekommt Seele, wenn sie sich mit einem Menschen vermählt, ihm aber den Tod bringt, wenn der ihr untreu wird, so erzählt eine Sage aus dem 14. Jahrhundert. Undine hat seit Jahrhunderten die Phantasie angeregt, hat Dichter, Künstler, Filmer inspiriert. Sie taucht etwa in Goethes «Faust I» (Studierzimmer), im Andersen-Märchen «Die kleine Meerjungfrau» oder Ingeborg Bachmanns Erzählung «Undine geht» auf.

Christian Petzold (Buch und Regie) hat sie zum Leben erweckt. Undine (Paula Beer) ist eine Historikerin im modernen Berlin, die historisch interessierten Gästen und Besuchern die Stadtentwicklung schildert, besonders was das alte Berliner Schloss angeht, das zu DDR-Zeiten gesprengt, abgebrochen (1950) und jetzt wiederaufgebaut wurde. Neu es als Humboldt Forum vermarktet. Undine ist mit Johannes (Jacob Matschenz) liiert, doch der lässt sie sitzen und macht Schluss mit ihr. Sie ist verzweifelt, auch weil sie vom Fluch weiss, dass der Freund nun sterben muss – wegen Untreue. Sie wehrt sich, will das Verhängnis abwenden, sich vom Mythos und Fluch befreien. Sie verliebt sich in den Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski), der ihr im Restaurant über den Weg stolpert und von allem nichts ahnt.

Wie Christian Petzold diesen romantisch-tragischen Undine-Mythos in die Moderne versetzt, hat schon etwas Magisches, Bezirzendes. Alles geschieht beiläufig, fast zufällig, wirkungsvoll im Heute verankert. Das beginnt etwa mit dem Zerbersten eines Aquariums im Restaurant, in dem eine Taucherfigur steckt, führt über Unterwassergänge in einem Stausee der Wupper im Bergischen Land (NRW), wo Christoph an einer Turbine arbeitet und den dort eingravierten Namen Undine entdeckt, bis zum schemenhaften Liebesakt. Das Element Wasser ist der Verbindungsort, wo sich quasi die Geister scheiden oder vereinen. Das Märchenhafte taucht in die Moderne.

Geradezu phänomenal gelingt es Petzold, der in der Gegend der Wupper aufgewachsen ist, der alltäglichen Gegenwart romantische Momente und Vernetzungen abzuringen. Die tragische Wasserfrau, ungemein intensiv und magisch von Paula Beer gespielt, die für ihre Leistung in Berlin den Silbernen Bären 2020 erhielt, möchte den Mythos durchbrechen. Sie hält an ihrer Liebe fest, die sich nur im Tod erfüllen kann. «Franz (alias Christoph) geht ins Wasser, um sie (Undine) zu suchen, und sie geht an Land, um ihn zu finden», erklärt Petzold die verhängnisvolle Beziehung. Und damit ist ihre Geschichte noch nicht zu Ende.

«Undine» ist sicher einer der aussergewöhnlichsten deutschen Kinofilme der letzten Zeit, er ist Sage und Zeitbild, Mythos und Liebesdrama zugleich. Wie schon in «Transit» (2018) bilden Paula Beer und Franz Rogowski ein irdisch-überirdisches Paar. «Undine», so liest man, soll der Petzolds Auftakt einer Filmtrilogie über die deutsche Romantik sein, die sich mit Elementargeistern beschäftigen soll.

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Mehr über Christian Petzold, seine Arbeit am Film, seine Intentionen, Vorlieben und Beweggründe erfährt man im «Augenblick», einer Konstanzer Heftreihe zur Medienwissenschaft, 2019 erschienen. Bernd Stiegler und Alexander Zons führten ein sechsstündiges mit Petzold im Juni 2019, mitten in den Dreharbeiten zu «Undine». So taucht sein jüngster Film nur am Rande auf, als es um das Thema Filmtitel ging. Da heisst es: «Undine ist auch nur ein einziges Wort, das ein Mythos ist und das man kaum noch kennt. Hier vorne gibt es eine 'Undine-Apotheke'. Apotheken, die 'Undine' heissen, sind immer am Kanal oder am Fluss. Warum heisst eine Apotheke 'Undine'? Weil sie auch Heilkraft hat. All diejenigen, die Unglück bringen, können auch heilen. Sie haben etwas Hexenhaftes, Kräuterhexen und so. So finde ich, kann man Titel machen.»
Augenblick 75/76: «Christan Petzold», Schüren Verlag, Marburg 2019, 19,90 Euro.


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Deutschland 2020  
90 Minuten

Buch und Regie: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm

Darsteller: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree, Jacob Matschenz, Anne Ratte-Polle


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