The Zone of Interest

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Trügerische Idylle: KZ-Kommandant Rudolf Höss (Christian Friedel) wohnt mit seiner Familie in unmittelbarer Nachbarschaft zum Vernichtungslager Auschwitz. (Filmcoopi)



Die Idylle neben der Hölle


Die private Zone des Massenmörders Höss und seiner Familie wird als perfide Familienidylle vorgeführt. Von vielen Kritikern als Meisterwerk gepriesen und in den Himmel gelobt. «The Zone of Interest» hat es in sich, geschickt inszeniert, die Privatzone erscheint harmlos und ganz normal. Der britische Regisseur Jonathan Glazer wurde für seine Darstellung der Täter- und Mitwisserschaft in Zusammenhang mit menschenverachtender Liquidierung jüdischer Menschen gefeiert (fünfmal für den Oscar nominiert). Bewusst haben Glazer und sein Team auf inszenierte Schrecken, Gräuel und Grausamkeiten verzichtet. Die britisch-polnische Produktion, in unmittelbarer Umgebung der Vernichtungsstätte Auschwitz gedreht, schwebt, historisch gesehen, im leeren Raum. Nur Zuschauer mit einem gewissen Geschichtswissen können die vorgezeigte Familienidylle einordnen und begreifen. Der historische Hintergrund bleibt bis auf wenige Besprechungsszenen der SS-Manager ausgeklammert – wie auch die Opfer jenseits der Lagermauern und der Zweite Weltkrieg. Das KZ-Auschwitz, denn darum handelt es sich, bleibt schier anonym, und sein Kommandant, Obersturmbannführer Rudolf Höss, tritt als bestens funktionierende, mörderische Marionette auf, die sich die Hände direkt nicht schmutzig macht. Er ist nicht fiktiv, keine Erfindung: Besagter Rudolf Höss war tatsächlich 1940 bis 1943 Lagerkommandant, wurde 1947 als Kriegsverbrecher verurteilt und gehängt. Aber davon erfährt man im Film nichts.

Ganz wohl kann es den Filmern bei ihrer Methode der Aussparungen und Vermenschlichung nicht gewesen sein, denn schemenhaft werden Bilder einer Frau (KZ-Häftling?) eingestreut, die wohl Essbares sammelt und an Lagerinsassen verteilt, sowie Bilder einer Putzkolonne, die im KZ-Museum Auschwitz-Birkenau heute tätig ist. Nur wer den historischen Hintergrund kennt, kann auch die Geräusche (dumpfes Brummen, Hundegebell, Befehle, Schreie, Schüsse), die Rauchschwaden einer Lok und aus Schonsteinen am nächtlichen Horizont richtig einordnen und deuten. Ein Indiz für das Unbehagen in dieser Gartenidylle ist auch Höss‘ Schwiegermutter Linna (Imogen Kogge), die ihren Aufenthalt abrupt abbricht, verreist und ihrer Tochter eine Nachricht hinterlässt, welche die wütend verbrennt. Ihre Mutter hatte die Idylle durchschaut.

Kommandant Höss (Christian Friedel) klammert die KZ-Normalität konsequent aus. Einmal stossen er und seine Kinder im Fluss auf Menschenknochen. Wie von Furien getrieben, hetzt er die Kinder ins Haus und lässt sie einer gründlichen Wäsche unterziehen. Und seine Frau, die stramme, gutbürgerliche Hedwig (Sandra Hüller)? Sie ergötzt sich am Pelzmantel einer Jüdin, geniesst ungeniert Garten und den straff organisierten Alltag. Sie ignoriert die Wirklichkeit – die bleibt draussen vor der Tür. Hedwig dient «vorbildlich» der Familie und ihrem Karrieremann, der sich auch mal mit einer anderen Frau (Jüdin?) vergnügt.

Höss, das uniformierte Monster, kommt als Nazi-Mensch mit Familiensinn daher. Und genauso wollten es Glazer und sein Team, sie wollten kein Bild des Teufels malen, keine Inkarnation des Bösen wie so oft in Nazi-Filmen, sondern Täter Höss als pflichtbewussten Befehlsausführer und konstruktiven Betreiber horrender Vernichtungs- und Verbrennungsanlagen zeigen. Wohlan, so bleibt denn auch seine verwöhnte Gattin Hedwig eine blonde Schablone, die nicht sieht, was sie nicht sehen will, puppenartig unterkühlt gespielt von Oscar-Anwärterin Sandra Hüller («Anatomie d’une chute»).

Fazit: Das Historiendrama «The Zone of Interest» (Konzentrationslager wurden von der SS als Interessengebiete bezeichnet) baut auf Auslassung und Andeutungen, vermeidet bewusst Gewalt- und Gräuelszenen. Das sind die Stärken des Films. Doch schwebt diese scheinbare Idylle, lose auf dem Roman (2014) von Martin Amis basierend, im leeren Raum, wenn man den historischen Background nicht kennt. Unaufgeklärte Zuschauer werden den banalen Alltag einer Familie wahrnehmen – mehr nicht. Doch das ist nicht genug! So bleibt ein fragwürdiges Kunststück, das nur bedingt wirkt, nicht aufklärt, nur sachlich «dokumentiert», wie normal doch Menschen sind, die eine mörderische Maschinerie dirigieren, organisieren und davon profitieren.


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Grossbritannien/Polen 2023
106 Minuten

Buch und Regie: Jonathan Glazer
Kamera: Łukasz Żal

Darsteller: Sandra Hüller, Christian Friedel, Freya Kreutzkam, Ralph Herforth, ImogenKogge


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