Perfect Days

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Momente des Innehaltens: Die Nichte Niko (Arisa Nakano) belebt für eine kurze Zeit die Routine des Klo-Putzers Hirayama (Kôji Yakusho). (DCM)



Das Glück im Alltäglichen


Wim Wenders mag die kleinen, unscheinbaren Geschichten und hat grosse Zuneigung zu Japan entwickelt. An Wenders, dem Poet des Alltäglichen, trug man die Idee heran, einen Film über die Designer-Toiletten zu machen, die anlässlich der Olympischen Spiele in Tokio 2020 entstanden sind. Ein Dokumentarfilm über Bedürfnisanstalten? Das kam für den deutschen Filmer («Anselm», «Der Himmel über Berlin») nicht infrage, aber eine Geschichte um diese einmaligen WC-Anstalten, könne er sich vorstellen, gab er in einem Interview zu. Und so taucht sein Spielfilm «Perfect Days» in eine Szene ein, die bei uns Nasenrümpfen hervorrufen würde. Nun muss man wissen, dass diese öffentlichen WCs in Japan einen anderen Stellenwert haben als in unseren Breitengraden. Sie wurden von namhaften Architekten entworfen und sind architektonische Kleinode. 17 solcher Toiletten existieren im Tokio-Bezirk Shibuya.

Hirayama (Kôji Yakusho) ist ein Mann der Firma «Tokio Toilets», still und wortkarg. Stoisch putzt er tagtäglich WCs, akribisch und fast schon hingebungsvoll. Sein Tageswerk läuft wie ein Ritual ab – vom Zähneputzen über den ersten Kaffeebecher aus dem Automaten bis zur Arbeit vor Ort. Er hört gerne Popmusik, etwa Lou Reeds «Perfect Days» (der auch dem Film den Titel gab) oder Van Morrisons «Brown Eyed Girls». Ein Mann von gestern? Er scheint mit seinem bescheidenen Dasein und Tun zufrieden zu sein, geht im Alltag und privaten Momenten auf – ruhig und gelassen. Eines Tages taucht Niko (Arisa Nakano) aus heiterem Himmel auf, die Tochter seiner Schwester, mit der er keinen Kontakt mehr hat. Sie will ihren Onkel kennenlernen, begleitet ihn bei seiner Arbeit und möchte wissen, warum zwischen ihm und ihrer Mutter totale Funkstille, ja Feindschaft herrscht. Der Toilettenmann freundet sich mit der jungen Frau an. Er ist keineswegs weltfremd, auch wenn er den Eindruck eines Einsiedlers mitten in der Stadt macht. Er ist für menschliche Bedürfnisse offen, hilft mal einer alten Dame, mal einem betrunkenen Zecher. Er sammelt junge Baumsprösslinge (Bonsai), zieht sie auf, hegt sie. Er liebt Musik und Bücher, ist belesen und fotografiert, vor allem Bäume und Blätterwerk.

Die liebevollen Beobachtungen in der Natur und im Alltag (Kamera Franz Lustig, der auch im Film «Anselm» für impressionistische Bilder sorgte) fügen sich zu einem unspektakulären Lebensbild und wirken poetisch, innig, strahlen gelassene Ruhe aus. Der Film, der wunderbar mit Schatten und Licht spielt, dokumentiert ein einfaches Leben und stilles Glück, begleitet von einem melancholischen Soundtrack, der im «Animals»-Song «House of the Rising Sun» gipfelt (in einer japanischen Version). Hauptdarsteller Kôji Yakusho wurde in Cannes mit der Goldenen Palme für den besten Schauspieler ausgezeichnet. Und Wim Wenders könnte 2024 zu Oscar-Ehren kommen. Sein Film wurde von Japan für die Kategorie ausländischer Filme angemeldet.


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Japan 2013
123 Minuten

Regie: Wim Wenders
Buch: Wenders, Takuma Takasaki
Kamera: Franz Lustig

Darsteller: Kôji Yakusho, Arisa Nakano, Tokio Emoto, Aoi Yamada, Yumi Aso
Kategorie Filmkritik
Stichwörter: Japan/Tokio, Alltagsdrama, Toiletten, Bescheidenheit, Genügsamkeit, Glück


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