Passion – zwischen Revolte und Resignation

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Eine Reise durch 50 Jahre Zeitgeschichte: Was ist aus den Träumen und Utopien geworden. Der Filmer Christian Labhart reflektiert seine Erfahrungen zwischen Rebellion und Resignation. (Prosa Film)



Reflexionen über gestern und heute für morgen


Aus nicht überzeugenden, eher fadenscheinigen Gründen wurde seinem Film an den Solothurner Filmtagen 2019 eine Aufführung verweigert. Die Auswahlkommission schob u.a. das Alter des Filmers (65) und vielleicht auch seine «altrevolutionäre» Haltung als Gründe vor. Womit die Verantwortlichen der Filmtage sich selbst einen Bärendienst erwiesen. Am Festival Visions du Réel in Nyon dagegen wurde «Passion» im April willkommen geheissen. Zurecht. Der Filmer Christian Labhart sagt und zeigt, was seine Sache ist, seine ideologische Orientierung, Sicht und Haltung.

Starke Worte des Autors. Was will der Film «Passion – zwischen Revolte und Resignation» ausdrücken, vielleicht bewirken? Es sind Fragen, die Labhart getrieben haben, Fragen wie «Verändert sich nichts, obwohl die Menschen sich ihr eigenes Grab schaufeln? Worauf gründen die Kräfte der Anpassung, die Macht der Herrschenden, die Starrheit der Verhältnisse?» Und vor allem die berühmte Faust-Frage «Was hält die Welt im Innersten zusammen.

Der Zürcher Christian Labhart, mit seinem Malerporträt «Giovanni Segantini – Magie des Lichts» noch in bester Erinnerung, ging einen persönlichen Weg, er setzte sich quasi ins Bild, indem er die Ereignisse, Zeit- und Weltbilder mit seinem Leben verknüpft, es darin wiederspiegelte. Es beginnt mit dem G-20-Gipfel in Hamburg 2017, mit Ausschreitungen und Ausnahmezustand in der Hansestadt. Er springt zurück in die Siebzigerjahre («Im Grossen oder im Kleinen»), in die Achtzigerjahre («Ich & Wir») und ins neue Jahrtausend («2001–2003 Ordnung in Chaos»). Und über allem die Frage: «Kann ich die Wirklichkeit verändern, indem ich sie abbilde?» Zürich (Sommer 1968 und mehr), Hamburg, Mazedonien und Japan, Dubai und Venedig (Touristenströme) – Labhart packt vieles in seine Reise durch die Welt, Vergangenheit und Gegenwart. Und liefert so packendes Anschauungsmaterial – jedem Pädagogen und Politiker zu empfehlen.

Mag sein, dass es den Solothurner Kommissären gegen den Strich ging, dass hier ein alter Filmer seine ganz persönliche Passionsgeschichte inszenierte und zu einem elegischen Essay fügte, Bachs Matthäus-Passion inklusive, mit der er musikalische Zeichen setzt. Seine «Leiden» und Leidenschaft an der Welt findet musischen und filmischen Ausdruck – klug, beeindruckend, denkwürdig. Seine Betrachtungen und Kommentierungen mögen bisweilen in Pathetische kippen, machen aber anschaulich klar, wie die Welt aus den Fugen gerät – zwischen Kapital, Konsum und Klima, Furcht, Flucht und Fakes. «Mein ganzes Leben habe ich an die Macht der Veränderung geglaubt», bekennt und konstatiert der: «Die Welt ist aus den Fugen geraten. Die globale Maschinerie rattert, die Logik des Marktes unterstützt die Gier des Menschen, die Erde leidet unter dem Gewicht des ökonomischen Diktats… Die Erde wird für einen endlos wachsenden Profit verbrannt.»

Gespickt sind seine Weltbilder, vom kürzlich verstorbenen Kameramann Pio Corrodi und Simon Guy Fässler eingefangen, mit Texten aus Labharts Tagebüchern und einem Brief Ulrike Meinhofs sowie literarischen Zitaten u.a. von Dorothee Sölle, Franz Kafka («Der Bau») oder Bertolt Brecht («An die Nachgeborenen»). Da heisst es bei Brecht: «Ihr aber, wenn es soweit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist, gedenkt unsrer mit Nachsicht.» Worte, die auch auf den Film zutrifft.


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Schweiz 2018  
80 Minuten

Buch und Regie: Christian Labhart
Kamera: Pio Corradi und Simon Guy Fässler

Sprecher: Mona Petri, Thomas Sarbacher, Matthias Koch


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