Jakobs Ross

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Abhängig: Elsies (Luna Wedler) Glück hängt vom Traum ihres Mannes Jakob (Valentin Postlmayr) ab, der unbedingt ein Ross erwerben will. (Ascot Elite)



Gegen alle Widerstände


Zum Interview mit Luna Wedler


Die Magd Elsie hat eine begnadete Stimme, wenn sie singt:

«Wiit weg sind Berge und See,
Aue gsehn ich nienets meh,
rund um mich flackeret Schatte,
wachsed us tunkele Matte,
dörf ich, o, d’Heimat nümm gseh?
O, wie tuets Herz mir so weh.»

geht einem das Herz auf. Diese Liederverse widerspiegeln ein ganzes Leben.

«Ja, wenn das Elsie das Lied vom Blüemlitaler Bauer, wo vor Heimweh in der Fremde verräblet, nur wieder einmal in einem Salong singen und fidlen könnte, anstatt in diesem Finsterseer Chuestall nur das Rösli und das Klärli mit je einer Hampflen Heu in der Schnörre als Publikum zu haben!» So beginnt der Roman um die Magd Elsie, die dem Schicksal trotzt und davon träumt, ihrem armseligen Dasein zu entfliehen und ihr Glück in Florenz zu finden – als Sängerin. Doch ihr Schicksal hängt mit «Jakobs Ross» zusammen, erzählt Silvia Tschui, die Zürcher Autorin, und gibt mit der Kapitelüberschrift «Das Elsie kriegt eine Flättere» bereits den herben Ton an, den die «Laufbahn» von Elsie nimmt – vom schweizerischen Finstersee gen Süden. Und am Ende heisst es: «Das Elsie macht einen Hüpfer auf ihrem Weg zur Eisenbahn und zu goldigen Tächern und zu Meer und fängt an zu singen …»

Die Zeit um 1870. Eine Magd scheuert den Boden und singt, so beginnt Katalin Gödrös’ Literaturverfilmung. Doch die herrische Gouvernante bringt Elsie (Luna Wedler) zum Verstummen. Das zieme sich nicht im Herrenhaus, heisst es. Doch zufällig wird Amelie-Sophie Burgener (Eugénie Anselin), die Tochter des Hausherren Burgener (Luc Feit), Zeugin dieses Zwischenfalls und nimmt sich der jungen Frau mit der schönen Stimme an. Sie verspricht ihr, sie zu fördern. Florenz ist Elsies grosser Traum, doch um im Herrenhaus eine bessere Stellung einzunehmen und ihren Wunsch zu verwirklichen, muss sie dem Hausherrn, Direktor Burgener, zu Diensten sein, heisst muss ihn sexuell befriedigen. Die Folge: Elsie wird schwanger und auf Betreiben Burgeners mit dem Knecht Jakob (Valentin Postlmayr) verheiratet. Das Paar erhält eine armselige Hütte mit ein bisschen Land zur Pacht. Sie nimmt Jakob, dem Rossknecht, das Versprechen ab: Wenn er sein eigenes Ross hat, darf sie Musik machen. Eines Tages spielt ein jenischer Bursche Rico (Max Hubacher) im Dorf auf und schürt ihre Hoffnungen. Sie möchte die Fesseln abstreifen, aufbrechen … vielleicht mit ihm. Als Jakob jedoch Elsies geliebtes Handörgeli verscherbelt, stürzt sie in eine tiefe Krise.

Der Film lässt offen, welches Schicksal Elsie nimmt. Wie entscheidet sie sich zwischen Kind und Knecht und Musik? Das Buch ist eindeutig. «Die goldigen Tächer» ist das letzte Kapitel.

Katalin Gödrös Verfilmung verdichtet, nimmt gewisse Änderungen vor. Ihre Elsie liebt ihr Handörgeli (keine Fidel wie im Buch). Die jenischen Musiker bleiben beargwöhnte Fremdlinge im Film, die regelrecht untergehen. Im Roman haben sie eine grössere existentielle Bedeutung für Elsie, wecken ihre schlummernde Musikleidenschaft und weisen den Weg. Überhaupt schlägt das Buch härtere Töne an, ist rauer, brutaler, gleichwohl poetisch. Eine Literaturverfilmung ist nie deckungsgleich mit der Vorlage. Der Spielfilm «Jakobs Ross» trifft den Kern dieses Historienromans über die Emanzipation einer Frau gegen Ende des 19. Jahrhunderts (Drehbuch: Urs Bühler). Gedreht im Bergell und im Tessin (Val Bavona), konzentriert sich der Dialektfilm auf das Verhältnis Elsie – Jakob, eine Zweckgemeinschaft, die, auf unsicherer Basis gebaut, sich als brüchig erweist. Der Österreicher Valentin Postlmayr agiert als Jakob. Er überzeugte bereits 2022 als Oskar Kokoschka im Kinofilm «Alma und Oskar». Die Zürcherin Luna Wedler, die speziell Sprachunterricht im Berndeutsch nahm, gibt ihrer Figur Kraft. Ihre Gesangseinlagen dringen ins Herz. «Jakobs Ross» ist ein moderner Heimat- und Sozialfilm, in dem eine Frau, vom Schicksal gebeutelt, ihren Traum nicht aufgibt und sich frei singt.


Die Welturaufführung von «Jakobs Ross» findet an den Solothurner Filmtagen (17. bis 24. Januar) statt.

Silvia Tschui «Jakobs Ross» ist als Taschenbuch im Verlag Nagel und Kimche, 2023, erhältlich.


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Schweiz 2024
103 Minuten

Regie: Katalin Gödrös
Buch: Silvia Tschui, Ulrike Maria Hund und Urs Bühler
Kamera: Sebastian Edschmid

Mitwirkende: Luna Wedler,Valentin Postlmayr, Max Hubacher, Eugénie Anselin, Luc Feit


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