Die Mittagsfrau

2023_11_14_Die Mittagsfrau_011jpeg

Wilde Zwanziger: Helene Würsich (Mala Emde) hat Lust, sich in Berlin auszutoben, verliert aber ihr Ziel als Medizinerin nicht aus den Augen. (Ascot-Elite)



Frauen zwischen den Fronten


Stella Goldschlag träumt von einer Karriere als Sängerin in Berlin. Doch als Jüdin ist sie in Nazi-Deutschland gefährdet. Mit ihrem Freund Rolf, der sich als Passfälscher auskennt, mogelt sie sich durchs Leben, bis sie von der Gestapo geschnappt wird. Um ihre Haut und die ihrer Eltern zu retten, geht sie mit den Judenverfolgern einen Pakt ein und liefert jüdische Menschen der Gestapo aus. Eine tragische Geschichte nach wahren Begebenheiten. Paula Beer spielt die getriebene junge Frau, die zur Mittäterin wird im aufwühlenden Drama «Stella. Ein Leben». Packend. Der Film von Kilian Riedhof, in dem auch Joel Basman mitwirkt, feierte am Zurich Film Festival Premiere und wird ab 1. Februar 2024 in unseren Kinos zu sehen sein.

Erneut Berlin während der Zwanzigerjahre. Die junge Helene (Mala Emde) will sich zusammen mit ihrer Schwester Martha (Esmée Liliane Amuat) austoben. Berlin pulsiert, das Leben ein Fest. Sie träumt von einer Karriere als Ärztin. Martha gibt sich dem Partyrausch hin. Sie wird später ein Opfer ihrer «Lebenssucht». Student Karl (Thomas Prenn), ein Freigeist, ist Helenes grosse Liebe. Mit den Nazis, welche die Macht ergreifen, wird ihr Leben infrage gestellt, bedroht und bestimmt. Sie verliert Karl und geht mit dem SS-Offizier Wilhelm (Max von der Groeben) eine Zweckehe ein, um als Jüdin zu überleben. Helene tauscht in der Not ihre Freiheit mit Zwang und Gewalt. Denn Wilhelm erweist sich als brutaler Machtmensch, der seine Frau besitzen will, sie knechtet bis zur Vergewaltigung.

Julia Francks Roman «Die Mittagsfrau» von 2007 wurde zum Bestseller, ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis. Die Österreicherin Barbara Albert hat ihn verfilmt und spannt einen Zeitbogen von den Wilden Zwanzigern bis in die Nachkriegszeit. Berlin brodelt und rauscht schier besinnungslos ins Verderben («Berlin Babylon» lässt grüssen). Die düstere, erbarmungslose Zeit des Naziregimes dagegen bleibt seltsam fern, ist nur beiläufig präsent, sieht man von der Inkarnation des Bösen und Macht in Gestalt des Wilhelm ab. Die Bedeutung der «Mittagsfrau» bleibt diffus und wird nur kurz als slawische Legende erwähnt. Das Drama wird von einer Klammer gehalten: Helene (die Mittagsfrau) besucht einen Bauernhof, der eine wesentliche Entscheidung in ihrem Leben markiert, dort hat sie ihren Sohn Peter im Krieg «geparkt».

Im Fokus steht das Schicksal einer Frau, Mutter und Krankenschwester, die, auf sich gestellt, der Zeit und Gesellschaft ausgesetzt ist und ihr trotzt. Ein Kampf um Selbstbestimmung und Identität, Verantwortung und Erinnerung. Mala Emde verkörpert die zweifelnde, leidende Titelheldin, kraftvoll und sensibel. Sie gibt dem Spielfilm Kontur und hält die Spannung hoch. Allein der Romanstoff wäre in diesem Fall besser als Mehrteiler oder Serie aufgehoben. Regisseurin Barbara Albert versuchte über drei Jahrzehnte in 140 Filmminuten zu packen. Mehr wäre für einmal wirklich mehr gewesen.


4_Star_Lionjpg

Deutschland 2023
134 Minuten

Regie: Barbara Albert
Buch: Albert, Meike Hauck
Kamera: Filip Zumbrunn

Mitwirkende: Mala Emde, Max von Groeben, Thomas Prenn, Esmée Liliane Amuat


Zurück