Corsage

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Im Griff der Etikette und Staatsrolle: Die Kaiserin von Österreich (Vicky Krieps), Sisi genannt, ist nur eine Marionette an der Seite des Kaisers (Florian Teichtmeister) und sucht die Befreiung. (Ascot Elite)

 

Die Krux einer Kaiserin

 
Nun ist sie ist wieder in aller Kritikermunde: Eine unglaubliche Sisi- Renaissance. Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach, ursprünglich Herzogin von Bayern, dann Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn (1837–1898) belebt neue TV- und Netflix-Produktionen. Sie hat sich wieder ins Gespräch gebracht – 70 Jahre nach der romantisch verklärten Trilogie um «Sissi» von Ernst Marischka. Die Wiener Autorin und Filmerin Marie Kreutzer fährt nicht in diesen Fahrwassern und beschreibt in «Corsage» die späten Jahre der Kaiserin.
 
Elisabeth (Vicky Krieps) feiert ihren 40. Geburtstag. Ihre Miene sagt alles über ihre Stimmung – zerknirscht, missmutig und leidend lässt sie die Huldigungsprozedur über sich ergehen. Diese Sisi (das ist die richtige Schreibweise) ist ihrer Rolle als hochgestylte Präsentantin und Modeikone überdrüssig. Strengen Diäten (Gewichtskontrollen) unterworfen und in einem Korsett gefesselt, unternimmt sie verschiedene Ausbruchsversuche. Sie raucht wie ein Schlot, auch beim Festmahl, sucht kleine Freiheiten beim Ausreiten, auch beim Reitlehrer. Ihrem Mann, ihrem Kaiser entfremdet, würde sie am liebsten ins politische Handwerk fuschen, und sich eingeben. Doch Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) macht ihr klar, dass sie nur zu Repräsentationszwecken dient. Ihre Pflicht, einen Thronfolger zu gebären, hat sie bereits erfüllt. Kronprinz Rudolf (Aaron Friesz) ist freilich nicht besonders kaiserlich geraten. Sisis Versuch, ihren Mann ins Bett zu locken, endet ernüchternd. Und so beauftragt sie letztlich eine Zofe, ihrem Mann «Gutes» zu tun.

Diese Elisabeth ist anders, badet nicht in Pomp und Glorie. Sie ist aufmüpfig und provokativ, aber auch verzweifelt und lebensmüde. Ein Sturz aus dem Fenster verläuft freilich glimpflich. Sie ist es leid geworden, schön und perfekt zu sein und als Mutter und Monarchin zu funktionieren. Wie ein Befreiungsakt wirkt da die Szene, als sie sich ihrer Haarpracht radikal entledigt und wie lästige Wolle entsorgt. Diese Kaiserin fällt aus der Zeit, flucht und zeigt auch mal den Stinkefinger. Sie gibt sich huldvoll menschenfreundlich, besucht Kriegsversehrte und Irre, kann aber auch hartherzig reagieren, beispielsweise als sie ihre Lieblingszofe Marie (Katharina Lorenz) an sich bindet und sie zu einem Rollentausch zwingt. Am Ende sucht sie einen radikalen Weg der Befreiung, nicht nur aus der Corsage.

Dass Regisseurin Marie Kreutzer mit dem Mythos «Sissi» radikal aufräumen möchte und ihre Figur zur emanzipatorischen Heldin macht, kann man akzeptieren. «Punk statt Prunk» schreibt das Kinomagazin «Cinema». Andere Medien loben den Spielfilm in höchsten Tönen, doch darf man sich nicht täuschen lassen. «Corsage» nimmt zwar historische Anleihen, ist aber kein Biopic, keine kalkulierte Sisi-Erweckung, sondern ein Psychodrama über eine unglückliche, narzisstische Frau, die aus der Spur läuft und sich Freiheiten nimmt.

Die Tragödie ist mit modernen Songs garniert, etwa mit «As Tears Go By» (Rolling Stones) oder «Help Me Make It Through the Night» (Kris Kristofferson). Fraglos bietet die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps eine überzeugende Leistung, am Filmfestival Cannes ausgezeichnet. Man sieht dem inneren und äusseren Kampf, dem Akt der Befreiung der Monarchin bewundernd zu, doch bewegt dies Sisi-Schicksal auch? An mir ging es vorbei.

Sisi lebt weiter, und Österreich hat «Corsage» für die Oscar-Nominationen 2023. angemeldet.


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Österreich, Deutschland 2022  
112 Minuten

Buch und Regie: Marie Kreutzer
Kamera: Judith Kaufmann

Mitwirkende: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz, Colin Morgan, Jeanne Werner, Alma Hasun, Manuel Rubey


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